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Sie boxte sich im Kopftuch zum deutschen Titel

Zeina Nassar ist Deutschlands neue Federgewicht-Meisterin. Die Muslimin kämpft stets gegen Vorurteile.

Heute Redaktion
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Seit den Protestmärschen in Chemnitz und Köthen liefern sich in Deutschland allen voran Politiker einen heftigen verbalen Schlagabtausch. Inmitten des politisch-gesellschaftlichen Aufruhrs hat sie zugeschlagen und sich am Wochenende erstmals den deutschen Box-Meistertitel in der Kategorie bis 57 Kilogramm (Federgewicht) erkämpft. Das Besondere daran: Zeina Nassar unterscheidet sich wesentlich von anderen Boxerinnen. Denn die 20-Jährige steigt mit Kopftuch in den Ring. Als Tochter libanesischer Eltern, die sich in Deutschland niedergelassen haben, ist sie Muslimin.

Die Berlinerin bedauert, dass die Leute primär über ihr Kopftuch sprechen. "Ich möchte nicht auf das Äußerliche reduziert, sondern als Mensch ernst genommen werden", betont Zeina Nassar in jenem Youtube-Video, das sie porträtiert. Der Athletin ist wichtig, dass ihre sportlichen Leistungen im Vordergrund stehen. Im Gegensatz zu den Duellen mit ihren Konkurrentinnen scheint dieser Kampf für die dreifache Berliner Boxmeisterin kein Ende zu nehmen, da sie immer wieder mit Vorurteilen konfrontiert wird.

Ihr Interesse am Kampfsport wurde vor dem TV geweckt, sie war damals 13. "Bei einer Freundin schauten wir Box-Videos von Frauen", erzählt die Studentin der Soziologie und Erziehungswissenschaften. Bis dahin war sie davon ausgegangen, dass Boxen nur etwas für Männer sei. Ein Probetraining in Berlin-Kreuzberg hat es ihr dann definitiv angetan. Seither trainiert Nassar regelmäßig und kann nicht mehr ohne.

Sich stets durchgerungen

"Das Boxen ist mit dem Leben vergleichbar", sagt sie. Im Ring lerne man, mit Niederlagen umzugehen. "Und der Sport erfordert Respekt und Disziplin, wie meine Religion." Letztere begleitet sie ständig. "Gott beschützt mich immer und überall, auch beim Boxen", hebt die junge Frau hervor. Vor jedem Kampf hält sie in der Garderobe kurz inne und flüstert leise die erste Sure des Korans vor sich hin. Dieses Ritual bedeutet ihr viel.

Um den Sport überhaupt ausüben zu können, musste sich Nassar regelrecht durchringen. Zuerst bei ihren Eltern, die ihr das Boxen ausreden wollten, weil sich Frauen nicht schlagen. "Bis sie einmal in die Halle kamen und mein Lächeln sahen", ist einem Porträt zu entnehmen, das Bento.de im März 2017 publizierte. Inzwischen sind Vater und Mutter stolz darauf, was ihre Tochter erreicht hat. Auch wenn sich für die Mutter "jeder Schlag anfühlt wie einer ins Herz".

Zuspruch und Hasskommentare

Die Eltern gingen zuerst davon aus, dass Zeina nur trainieren und keine Wettkämpfe bestreiten würde. Doch auch da boxte sie sich durch, nicht nur bei Vater – der früher selber boxte, dies seiner Tochter aber nie erzählte – und Mutter. Denn eine Frau mit Kopftuch im Ring, das kannte der Deutsche Boxsport-Verband nicht. Bis die Muslimin im Jahr 2013 gemeinsam mit ihrer Trainerin Christina Ahrens eine Änderung der Wettkampfbestimmungen erwirkte. Als 15-Jährige bestritt sie ihren ersten Ernstkampf – und verlor diesen. Von den Zuschauern wurde das Mädchen mit dem Kopftuch und langärmligen Shirt unter dem Trikot allerdings fast wie eine Siegerin gefeiert. Sie erinnert sich zurück: "Da merkte ich, dass es sich lohnt, weiterzukämpfen." Nicht nur für Siege im Ring, sondern auch für die Gleichstellung und -berechtigung.

Zeina Nassar ist in sozialen Netzwerken präsent, wo sie viel Zuspruch – auch nach ihrem jüngsten Erfolg – erhält. Sie musste aber lernen, mit Hasskommentaren umzugehen. Einer lautete beispielsweise: "Vorsicht, sie wäre nicht die erste Muslima, der man wegen der verletzten Ehre in den Kopf schießt oder sie bei lebendigem Leib verbrennt." Und seit im Netz ihr Gewinn des deutschen Meistertitels vermeldet wurde, hagelte es auf Twitter Sprüche unter der Gürtellinie wie "Eine d e u t s c h e Boxweltmeisterin, die für den politischen Islam und dessen Frauen-Apartheid kämpft. Warum sollte das gefeiert werden?" (Original-Fassung) oder "Wer traut sich denn auch, diese Schleiereule anzurühren? Kommt doch sofort der ganze Clan mit 20 Brüdern und 300 Cousins in den Ring gestürmt, um ihre Ehre zu verteidigen ...".

"Alles machen, worauf man Bock hat"

Solche Reaktionen ziehen die Boxerin aber nicht herunter, sondern motivieren sie. "Ich zeige es dir erst recht, indem ich weitermache", lautet ihre Antwort darauf. Mit ihrem Kampfgeist will Zeina Nassar "dumme Vorurteile" aus der Welt schaffen und allen "das Gegenteil beweisen". Sie ist überzeugt: "Sport kann Menschen definitiv positiv verändern." Denn wer Ziele vor Augen habe, kämpfe dafür. Die Deutsche ist jedenfalls schon weit gekommen, steht sie doch als Brand Ambassador von Nike mit einem Pro-Hijab der populären Sportmarke im Ring. Und als nächstes hat sie sich die Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen 2020 zum Ziel gesetzt.

Auch fernab des Boxringes macht sich Nassar für die Rechte von Frauen stark. Sie tritt auf der Bühne des Berliner maximal-Gorki-Theaters auf, wo politische und soziale Themen oder Probleme direkt auf den Punkt gebracht werden. "Zum Beispiel, wie wir Frauen in der Gesellschaft wahrgenommen werden", erklärt die 21-Jährige, die sich in ihrem Leben durch nichts und niemanden einschränken lassen will. Ganz nach ihrem Motto "Als Frau sich nichts vorschreiben lassen, alles machen, worauf man Bock hat".

(Heute Sport)