Sport

So brutal war der Weg von Biles in den Turn-Olymp

Heute Redaktion
Teilen
Picture

Die Mutter drogenabhängig, der Bruder unter Mordverdacht und der Trainer ein Sexualstraftäter: Simone Biles hatte bei ihrem Aufstieg viele Hindernisse zu überwinden.

Wenn sie turnt, dann setzt sie ein Statement. Ein Statement, das nichts mehr aussagt, als: "Seht her, ich bins, die Beste der Welt, die GOAT, die Größte aller Zeiten." Jede Übung wird zur Machtdemonstration, vor allem am Boden, wenn sie auf der ersten Diagonale gleich zu Beginn ihren eigenen Sprung zeigt, einen gehockten Doppelsalto mit dreifacher Schraube, einen Sprung, den nur sie beherrscht: Simone Biles.

Auch bei der WM in Stuttgart zeigte die US-Amerikanerin den Sprung. Sie holte Gold, natürlich mit einem Punkt Vorsprung auf den Rest der Konkurrenz. Die Medaille ist historisch, es ist die 25., die Biles an einer WM gewinnt, die fünfte goldene in Stuttgart. Niemand hat eine größere Sammlung. Zur Erinnerung: Biles ist 22. Der Titel "die Größte aller Zeiten" beinhaltet zwar auch die Zukunft, aber ob die Turnwelt je wieder eine solche Ausnahmeathletin zu Gesicht bekommen wird? Schwer vorstellbar.

Der steinige Weg der Simone Biles

Elegant und doch voller Power, stets mit einem Lächeln auf den Lippen. Die Kunststücke, die Biles auf die Matten und in die Lüfte zaubert, lässt sie einfach aussehen. Sie, die für jede ihrer Konkurrentinnen eine Umarmung übrig hat, sie, die von der Schweizerin Giulia Steingruber als "bodenständig" beschrieben wird. Das mag heute so sein. Doch Biles' Biographie ist nicht nur von Glücksmomenten geprägt.

Im März 1997 kam Biles in Columbus zur Welt. Als Tochter einer drogen- und alkoholabhängigen Mutter. Simone und ihre drei Geschwister Adria, Ashley und Tevin wurden bei einer Pflegefamilie untergebracht, danach zogen sie zum Großvater nach Texas. Bald wurden die Geschwister getrennt, Ashley und Tevin gingen zurück nach Ohio. Tevin sitzt heute wegen Mordverdachts im Gefängnis.

Im Garten des Großvaters begann das, was Biles am Sonntag zementierte. "The Road to GOAT", der Weg zur Größten aller Zeiten. Sie habe nie stillsitzen können, erzählte Biles einmal, mit 14 war klar, dass sie die Aufmerksamkeitsdefizitstörung ADHS hat. Als sie sechs Jahre alt war, wurden Trainer erstmals auf sie aufmerksam, und doch verpasste sie mit 14 die Aufnahme in das Kader der Juniorinnen. Am Barren war sie zu wenig gut und zu klein war sie auch.

"Eine der Überlebenden"

Biles aber schaffte den Sprung, sie trainierte bald auf der berüchtigten Karolyi-Ranch, bekannt für ihren Drill und harten Umgang mit jungen Sportlerinnen. Geführt wurde das Trainingszentrum vom Ehepaar Bela und Marta Karolyi, das teils brutale Trainingsmethoden aus Rumänien in die USA mitbrachte. Viele Athletinnen hungerten, hatten jahrelang Essstörungen, Eltern waren nicht gestattet. Auf der Ranch hatte auch Larry Nassar sein Unwesen getrieben, der Trainer missbrauchte hunderte Turnerinnen sexuell. Biles twitterte vor dem Verfahren gegen ihn: "Auch ich bin eine der vielen Überlebenden." Über 150 Betroffene sagten gegen Nassar aus, er wurde zu 175 Jahren Haft verurteilt. Die Karolyi-Ranch ist mittlerweile geschlossen.

Biles sagte nach dem Prozess, sie erinnere sich jeden Tag daran, was sie durchgemacht habe. Sie kritisierte den US-Turnverband heftig, weil dieser sie und ihre Kolleginnen nicht beschützt hatte. Trotz allem biss sich Biles durch, sie holte 2013 zum ersten Mal eine WM-Medaille, es war sogleich die erste goldene. Da war sie 16. Nun sind in sechs Jahren 24 weitere Auszeichnungen dazugekommen. Und Simone Biles wird nicht zu stoppen sein. Noch nicht. Oder in den Worten von Fabian Hambüchen, einst selbst Olympiasieger am Reck: "Sie müsste sich ja gar nicht mehr steigern – und tut es trotzdem."