Ukraine

So paranoid ist Putin: "krankhafte Angst um sein Leben"

Kein Handy, Quarantänepflicht für Besucher, Fake-Reisen, panische Angst: Ein Ex-Offizier der russischen Präsidentengarde packt in einem Interview aus.

Wladimir Putin bei einem Treffen des Nationalen Sicherheitsrates – er habe sich seit 2020 von der Welt abgeschottet, meint ein ehemaliger Leibwächter.
Wladimir Putin bei einem Treffen des Nationalen Sicherheitsrates – er habe sich seit 2020 von der Welt abgeschottet, meint ein ehemaliger Leibwächter.
via REUTERS

Kreml-Chef Wladimir Putin ist eine der zentralen Figuren des politischen Weltgeschehens im 21. Jahrhundert. Der nicht gerade unumstrittene und vielerorts unbeliebte russische Präsident lebt scheinbar in panischer Angst vor Ansteckung und Attentaten – das geht aus einem brisanten Interview hervor. Der geflohene Ex-Präsidentengarde-Offizier Gleb Karakulow packte gegenüber dem "Dossier Center" aus. 

Die Präsidentengarde FSO ist für die Sicherheit des russischen Präsidenten sowie der Regierung verantwortlich. Laut eigener Aussage floh Karakulow im Herbst 2022 mitsamt Frau und Tochter über Kasachstan in Richtung Istanbul. Zuvor hatten sich in ihm die Zweifel gemehrt, ob er hinter der Agenda des russischen Präsidenten stehen kann. Nun äußert er sich zum Ukraine-Krieg.

Panische Corona-Angst

Für den Überläufer ist Putin ein "Kriegsverbrecher", die "Invasion in das Territorium eines souveränen Staates ist einfach unbegreiflich". Der Kreml-Chef sei "von der Welt abgeschnitten". Weiters packt der Mann über das Leben des russischen Machthabers aus: "Putin hat in den letzten Jahren in einem Informationskokon gelebt und die meiste Zeit in seinen Residenzen verbracht, die die Medien sehr treffend als Bunker bezeichnen. Er hat krankhafte Angst um sein Leben."

Um ihn herum herrschen demnach strengste Sicherheitsvorkehrungen. Informationen erhalte Putin nur von Personen aus seinem engsten Umfeld, da er weder das Internet noch Mobiltelefone nutze. Besonders extrem: Personen, die einen Termin mit Putin wahrnehmen wollen – egal wie kurz – müssen vorher zwei Wochen in Quarantäne. Sein gesamtes Umfeld unterziehe sich laut Karakulow regelmäßiger Untersuchungen und Tests: "Ich habe keine Ahnung warum, er ist wahrscheinlich einfach um seine Gesundheit besorgt."

Guter Gesundheitszustand

Immer wieder keimten in der Vergangenheit Gerüchte über den scheinbar desolaten Gesundheitszustand des mittlerweile 70-Jährigen Diktators auf. Diese kann der Überläufer nicht bestätigen. Ganz im Gegenteil: "Er ist bei besserer Gesundheit als viele andere Menschen in seinem Alter. Er lässt sich jährlich ärztlich untersuchen."

Um unauffälliger reisen zu können, nutze Putin weiters einen Sonderzug, der sich äußerlich nicht von anderen Zügen der russischen Bahnen unterscheide. Er bevorzugt diese Art des Reisens gegenüber dem Fliegen, da sich Züge schlechter nachverfolgen ließen und weniger auffällig seien. 

Gefälschte Reisen

Besonders wichtig scheint Putin zu sein, dass niemand weiß, wo er sich gerade wirklich aufhält. Es gab ja bereits mehrfach Berichte über Doppelgänger des Präsidenten. Zum selben Zweck habe er die Büros in seinen verschiedenen Residenzen ident gestalten lassen. "Egal, ob in St. Petersburg, Sotschi oder Nowo-Ogarjowo, alles ist identisch", so Karakulow. Auch die staatlichen Medien spielen das Spiel mit: So hätten die Fernsehnachrichten berichtet, der Kreml-Chef leite eine Sitzung in Nowo-Ogarjowo, dabei sei Putin noch in Sotschi gewesen.

Auch Reisen würden vorgetäuscht. Der FSO würde dann damit beauftragt, ein Flugzeug zu bestellen und eine Autokolonne in Bewegung zu setzen, obwohl der Präsident keinerlei Absichten habe, sich fortzubewegen. Damit wolle er "erstens, den ausländischen Geheimdienst verwirren und zweitens, Anschläge auf sein Leben verhindern". 2020 habe der Überläufer bei Putin einen Wandel beobachtet, es kam wohl zu einer zunehmenden Abschottung. 

Krim-Besuch machte skeptisch

Seitdem schotte sich der Präsident von der Außenwelt ab, was sich auch im Hinblick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zeige: "Ein vernünftiger Mensch des 21. Jahrhunderts, der objektiv alles betrachtet, was in der Welt geschieht, geschweige denn, der die Entwicklung zumindest mittelfristig vorhersehen kann, hätte diesen Krieg nicht zugelassen".

Laut dem Bericht war Karakulow seit 2009 beim FSO tätig. Seine Zweifel an der Richtigkeit der Tätigkeit hätten bereits 2014 eingesetzt, als er im März Teil eines Krim-Besuchs war. "Ich hatte die Gelegenheit, die Menschen zu fragen, ob sie die Annexion unterstützen. Waren es wirklich 97 Prozent?", Karakulow weist diesbezüglich große Skepsis auf: "Sie waren fifty-fifty. Die eine Hälfte war der Meinung: Okay, es scheint eine gute Idee zu sein, [Russland] beizutreten. Die andere Hälfte hatte ernsthafte Zweifel. Da läuteten bei mir zum ersten Mal die Alarmglocken."

"Es ist an der Zeit, das Schweigen zu brechen"

Obwohl ihn seine Eltern vor einer Flucht warnten, unternahm Karakulow den großen Schritt. Seine ehemaligen Arbeitskollegen seien Putin hingegen treu ergeben, Zweifel an ihm und seiner Vorgehensweise gäbe es keine. Sie nennen in demnach nur "Boss" und "verehren ihn in jeder Hinsicht". Er fordert seine Ex-Kollegen dazu auf, sich Putins "kriminellen Befehlen" endlich zu widersetzen.

"Wie viele namenlose Opfer gibt es in diesem Krieg, wie viele davon sind Kinder? Wie viele solcher Opfer sind noch nötig, bevor Sie aufhören, das hinzunehmen?". Und: "Dieser Krieg muss beendet werden, und es ist an der Zeit, das Schweigen zu brechen."

1/5
Gehe zur Galerie
    Am Mittwochabend kam es zu einem Brand im russischen Verteidigungsministerium.
    Am Mittwochabend kam es zu einem Brand im russischen Verteidigungsministerium.
    IMAGO/ITAR-TASS