"System der Unsicherheit"

Kahlschlag bei Sozialhilfe: "Nun drohen Delogierungen"

In OÖ soll die Sozialhilfe mit neuen Pflichten und strengeren Strafen verschärft werden. Sozialorganisationen warnen vor harten Folgen für Betroffene.
Oberösterreich Heute
11.12.2025, 05:00
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In Oberösterreich steht eine Novelle des Sozialhilfe-Ausführungsgesetzes (OÖ. SOHAG) kurz vor der Beschlussfassung. Vorgesehen sind unter anderem strengere Sanktionen, neue Verpflichtungen für Beziehende und eine stärkere Fokussierung auf Arbeitsmarktintegration.

Die Sozialplattform OÖ – ein Netzwerk aus 46 Organisationen – kritisiert nun, dass diese Änderungen tief in die Existenzsicherung armutsbetroffener Menschen eingreifen würden. Rund ein Drittel aller Menschen, die in OÖ Sozialhilfe beziehen, standen 2024 dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Genau auf diese Gruppe zielt die geplante Gesetzesänderung ab.

Mehr Pflichten, mehr Spielraum

Wer trotz Teilzeitjob oder geringem Einkommen Sozialhilfe bekommt, soll künftig auch während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses verpflichtet werden, sich weiter aktiv um Arbeit zu bemühen. Betroffene müssten weiterhin sowohl dem AMS als auch den Bezirksverwaltungsbehörden nachweisen, dass sie sich um Jobs bewerben – "eine oft widersprüchliche und ineffiziente Doppelstruktur", heißt es in der Aussendung.

Schon jetzt gebe es große Unterschiede, wie die Bezirksverwaltungsbehörden die Regeln umsetzen. Die Novelle verschärfe das Problem noch weiter: Unklare Begriffe wie "zielstrebig verfolgt" oder "Beseitigung von Umständen" ließen viel Spielraum für Auslegung.

"Erhöhen Risiko von Mietrückständen massiv"

Das, kombiniert mit schärferen Strafen, würde ein "System der Unsicherheit" erschaffen: Schon drei als Versäumnis gewertete Fehler können künftig dazu führen, dass jemand seine gesamte Sozialhilfe und teilweise auch die Krankenversicherung verliert.

"Eine derart harte Sanktionslogik trifft jene, die ohnehin am wenigsten Spielraum haben", sagt Stefan Thurner von der Sozialplattform OÖ. Schon die aktuellen Regeln würden Menschen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, massiv unter Druck setzen. Besonders dramatisch könnten sich die geplanten Sanktionen auf die Wohnsituation der Betroffenen auswirken.

Viele Menschen müssen mit ihrer Sozialhilfe vor allem die Miete zahlen. "Tiefgreifende Kürzungen erhöhen das Risiko von Mietrückständen und Delogierungen massiv. Die Wohnungslosenhilfe OÖ wird durch diese Novelle vor kaum bewältigbare Herausforderungen gestellt", warnt Thurner. Er fordert von der Landesregierung eine umfassende Evaluierung der Folgewirkungen und -kosten unter Einbeziehung der Sozialorganisationen.

"Das letzte Auffangnetz Sozialhilfe muss ein faires Angebot für Menschen bleiben, deren ökonomische Bedingungen nicht ausreichend sind", betont Christian Gaiseder vom Sozialverein B37. "Aber auch für die Menschen, die mit Defiziten im Alltag zu kämpfen haben und auf Unterstützung von einschlägigen Einrichtungen angewiesen sind."

Warnung vor Folgekosten

Die Sozialplattform OÖ kritisiert, dass eine sachliche Diskussion über eine bedarfsorientierte Sozial- und Armutspolitik fehle. Derzeit stehe vor allem die Disziplinierung von Armutsbetroffenen im Mittelpunkt der politischen Debatte. Sozialorganisationen warnen, dass besonders Menschen mit psychischen Erkrankungen, schlechtem Gesundheitszustand oder mehreren Problemen durch die geplanten Änderungen noch stärker gefährdet werden.

"Die Folgekosten einer schlechten Sozialhilfe, die bei Delogierungsprävention, Obdachloseneinrichtungen, Schuldenberatungen, im Gesundheitssystem oder der Kinder- und Jugendhilfe aufschlagen, werden unterschätzt", erklärt Martin Schenk, stellvertretender Direktor der Diakonie Österreich und Mitbegründer der österreichischen Armutskonferenz. Er weiß: "Es macht uns alle stark, wenn wir anderen aufhelfen und niemandem ein Bein stellen."

{title && {title} } red, {title && {title} } 11.12.2025, 05:00
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