"Es gibt derzeit zu viel an Gemeinheiten, Vorurteilen, Pauschalverunglimpfungen, Abwertung und Verachtung gegenüber Armutsbetroffenen im politischen wie medialen Raum." Diese deutlichen Worte richtete die Armutskonferenz (Netzwerk gegen Armut) am internationalen Tag zur Bekämpfung der Armut, am 17.Oktober2025, an Entscheidungsträger aller Lager in Österreich.
Die Armutskonferenz, eine Dachorganisation unterschiedlichster sozialer Hilfsvereine, schreibt in ihrer Aussendung: "Wenn der soziale Abstieg von Bevölkerungsgruppen in Österreich verhindert werden soll, sind präventive Hilfen das Mittel der Wahl." Es müsse jetzt darum gehen, Wohnungslosigkeit und die Energiearmut zu stoppen und die wachsende Kinderarmut zu bekämpfen.
Letztes Jahr hatte "Heute" bereits über die triste Lage berichtet: "In Österreich – einem der reichsten Länder der Welt – ist jedes fünfte Kind von Armut gefährdet. In Zahlen: 350.000 Kinder und Jugendliche wachsen so auf." Ein zunehmendes Problem, denn die Armut nagt auch immer mehr an der sogenannten "Mittelschicht": 2024 waren um rund 130.000 Menschen mehr von absoluter Armut betroffen als noch zwei Jahre davor.
Aus Sicht der Experten der Armutskonferenz gelte es jetzt aber auch Prekarität im Alter und armutsbedingte Erkrankungen zu verhindern. Österreichs Sozialsystem sei dazu in der Lage, ohne dass man Flüchtlinge gegen Arme oder Pensionisten gegen arbeitssuchende Jugendliche aufwiegeln müsse, sagte auch zuletzt Sozialexperte Martin Schenk, der stellvertretender Direktor der Diakonie Österreich und Mitinitiator der Armutskonferenz gegenüber "Heute".
"Ständig wird von 'Flüchtlingen' gesprochen, gekürzt wird dann in Wirklichkeit bei allen, bei den Behinderten und Kranken. Das ist der Trick. Den kennen wir schon von der Abschaffung der Mindestsicherung in Niederösterreich", sagte Schenk zum Fall einer fünffachen Mutter, der, nach eigenen Angaben, im Oktober der Antiteuerungsbonus gestrichen wurde.
In einem anderen Fall – "Heute" hatte kürzlich von einer 38-jährigen Niederösterreicherin mit Behinderung berichtet, der Behörden geraten haben sollen, ihre verschuldeten Eltern auf Unterhalt zu klagen – sagte Schenk: "Es gibt viele vergessene und verschwiegene Probleme in der Sozialhilfe."
Menschen mit schweren Krankheiten oder Behinderungen werde zunehmend ein selbstbestimmtes Leben verweigert: "Da geht es mittlerweile um bis zu einem Drittel aller Bezieher, je nach Bundesland." Die Armutskonferenz warnt davor, Verhältnisse wie diese bundesweit zur Normalität werden zu lassen.
Unter dem Motto "Schützt und stützt die Mitte" hebt die Armutskonferenz hervor, dass Sozialleistungen entscheidend zum sozialen Ausgleich beitragen: Sie reduzieren die Armutsgefährdung von 43Prozent auf rund 15Prozent. Hier dürfe es jetzt nicht zu weiteren Verschlechterungen kommen, fordern die Experten des Bündnisses und auch Schenk.
Besonders wirksam sind demnach Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Mindestsicherung sowie die Wohnbeihilfe, heißt es seitens der Armutskonferenz. Sozialer Wohnbau, Gesundheits- und Bildungsmaßnahmen hätten eine starke präventive Wirkung gegen Armut.
Laut Armutskonferenz leben in Österreich derzeit mindestens 206.000 Menschen in Armut – gegenüber 2020 ein Anstieg von 33 Prozent. Weitere 336.000 Menschen sind erheblich "materiell depriviert" (eingeschränkt). Diese Gruppe hat – oft trotz Arbeit – ein so geringes Einkommen, dass wesentliche Güter und Lebensbereiche im Alltag nicht mehr leistbar sind (z.B. neue Waschmaschine, Wohnung angemessen zu heizen, ein Mal im Jahr Urlaub, unerwartete Ausgaben). Insgesamt sind in Österreich derzeit weitere 1,29 Mio. Menschen (14,3%) armutsgefährdet – mit einem Einkommen unter der Armutsschwelle (1.661€ monatlich). 2,2 Mio. Menschen (22%) kämpfen mit zu hohen Wohnkosten – fast doppelt so viele wie 2022.
"Die untere Mitte hat kein Vermögen, um Einschnitte wie Krankheit oder Arbeitslosigkeit einfach aufzufangen. Und wäre sie gezwungen, Vermögen für Alter, Bildung, Krankheit oder Arbeitslosigkeit anzusparen, wäre ihr Lebensstandard und ihr Konsumniveau vernichtet", heißt es in der Aussendung der Experten.
Im September erst hatten sich das Momentum Institut zu Wort gemeldet und argumentiert, dass die "Debatte um die Höhe der Kinderzuschläge, die oft mit dem Verweis auf die angebliche Überzahl von kinderreichen Familien in der Mindestsicherung geführt" werde, nicht der "Familienrealität in Österreich" entspreche.
Denn: "Kinderreiche Familien sind die Ausnahme. Die Hälfte aller Familien hat nur ein Kind, 36 Prozent zwei Kinder. Nur zehn Prozent haben drei Kinder und lediglich drei Prozent vier oder mehr. Insgesamt gibt es österreichweit rund 3.500 Paare mit vier oder mehr Kindern, die Mindestsicherung beziehen." Die Reform in diesem Bereich instrumentalisiere eine demografische Ausnahmegruppe und bestrafe am Ende vor allem Kinder, die von Armut betroffen seien.
Diesen Standpunkt vertritt auch die Armutskonferenz. In ihrem Appell am internationalen Tag zur Bekämpfung der Armut heißt es überdies: "Die Mitte ist dort weniger gefährdet, wo es ein starkes Netz sozialer Sicherheit gibt." Dies müsse umso mehr in Krisen gelten.