Sie hat einst eine Lehre als Karosseriebautechnikerin abgeschlossen, bis 2019 in der Kfz-Branche gearbeitet, zuletzt als Spenglerin und Lackiererin in einer Werkstätte. Heute kämpft die fünffache Mutter um jeden Cent: "Wenn am Monatsende vielleicht 10 Euro übrig bleiben, kann ich froh sein."
Jasmin Bleier (Name geändert), die wenige Kilometer nördlich von Wiener Neustadt in einer Mietwohnung wohnt, erzählt im "Heute"-Gespräch, wie schwer ihr Alltag mittlerweile zu stemmen ist: "Miete und Strom zusammenrechtet, zahle ich hier 1.200 Euro. Weitere 300 Euro zahle ich mittlerweile für Gas." So addierten sich die Kosten für Wohnen auf rund 1.500 Euro, sagt sie.
Obwohl zwei der fünf Kinder bereits ausgezogen sind, sei das Leben mit drei Kindern eine tägliche Herausforderung. Der jüngste Sohn der 38-Jährigen ist zudem kognitiv eingeschränkt: "Als er 2019 zur Welt kam, wurde recht bald eine Entwicklungsverzögerung diagnostiziert. Es stellte sich heraus, dass er unter frühkindlichem Autismus leidet, was gemeinhin als Kanner-Syndrom bezeichnet wird."
"Hier in Niederösterreich fehlt es aber massiv an sozialer Infrastruktur", sagt die fünffache Mutter. Nicht nur mit Kindergartenplätzen gäbe es ein Problem: "Vor allem Betreuungseinrichtungen für Kinder mit besonderen Bedürfnissen fehlen bei uns am Land."
Nach ihrer Karenz wollte Bleier wieder arbeiten gehen, doch aufgrund der Behinderung ihres Sohnes ging das nicht: "Man kann sich das schwer vorstellen, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Für meinen Kleinsten ist jede Veränderung ein enormer Stress." So muss die Mehrfachmutter ihren Sohn mit dem Auto in den Kindergarten bringen: "Dort kann er aber nur zwei Stunden bleiben. Mehr schafft er nicht, weil ihn die Lautstärke, die anderen Kinder, wahnsinnig belasten."
Dann bringt Bleier Beispiele: "Draußen regnet es, der Himmel ist wolkig und schwarz. Das passt nicht in sein Konzept und wirft ihn völlig aus der Bahn. Das Gleiche passiert, wenn ich einmal andere Nudeln koche, dann isst er mir die Spaghetti nicht mehr." Die 38-Jährige kauft meist Aktionsware, hetzt von Supermarkt zu Supermarkt, um jedes Billigangebot zu nützen: "Milch um 90 Cent, das ist für uns schon ein riesiger Unterschied."
Stichwort Unterschied: "Seit im Juli beschlossen wurde, dass es für mich keinen Antiteuerungsbonus mehr gibt, weil ich nicht arbeiten gehe, kämpfen wir noch mehr. Ab Oktober fehlen mir monatlich 180 Euro, weil es zuvor pro Kind und Monat 60 Euro an staatlicher Unterstützung für besonders von Armut betroffenen Familien gegeben hat. Das fällt jetzt durch die Reform weg."
Die 38-Jährige vor: "Sozialhilfe, Alleinerzieherzuschlag und Behindertenzuschlag zusammengerechnet ergeben 1.600 Euro monatlich. Da kommen noch circa 900 Euro Familienbeihilfe und etwa 400 Euro an Alimenten dazu. Ich habe also 2.900 Euro, um die 1.500 Euro an Wohnkosten und rund 1.000 für Lebensmittel zu decken. Zu viert ist das extrem knapp."
"Von den knapp 400 Euro, die für das restliche Leben übrig bleiben, zahle ich meine Kfz-Versicherung, den Sprit, die Haushaltsversicherung und das Handy", sagt Bleier und klingt verzweifelt. Für unerwartete Ausgaben ist kein Geld da: "Ich habe überall angerufen, aber es hat nur geheißen: 'Dann müssen Sie halt arbeiten gehen.' Würde ich gerne, aber wer passt dann auf meinen Sohn auf?"
Laut Armutskonferenz können rund 60 Prozent der Bezieher von Sozialhilfe aus unterschiedlichen Gründen nicht arbeiten, etwa weil sie schon in Pension sind, eine chronische Erkrankung haben, eine Behinderung haben oder Kinder und Angehörige pflegen – bzw. selbst noch Kinder sind. Ein Drittel (34 Prozent) der Menschen in Sozialhilfe stehen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung und können arbeiten. Weitere 8 Prozent arbeiten bereits, ihr Job ist aber zu schlecht bezahlt, sodass ihr Einkommen nicht reicht und sie Zuzahlungen aus der Sozialhilfe brauchen.
"Heute" hat zu dieser Problematik mit dem stellvertretenden Direktor der Diakonie Österreich, Sozialexperte Martin Schenk gesprochen, der sagt: "Viele würden gerne einige Stunden mehr arbeiten. Aber entweder gibt es überhaupt keinen Kindergarten, oder in den Bildungseinrichtungen keine Nachmittagsbetreuung für Kinder mit Behinderungen. Das wäre nicht nur für die Kinder, sondern auch für deren Eltern eine enorme Entlastung und Unterstützung."
"Von der schlechten Sozialhilfe sind besonders Eltern von Kindern mit Behinderungen betroffen", sagt Schenk: "In der Sozialhilfe gehört auch endlich eine verbindliche Definition des Begriffs 'alleinerziehende Person' geschaffen, der alle Konstellationen erfasst. Im September erst hat die Armutskonferenz (ein Zusammenschluss an Hilfsorganisationen, Anm.) auf die vergessenen und verschwiegenen Probleme in der Sozialhilfe aufmerksam gemacht."
Und Schenk warnt davor, dass es zu weiteren Verschlechterungen kommen könnte: "Ständig wird von 'Flüchtlingen' gesprochen, gekürzt wird dann in Wirklichkeit bei allen, bei den Behinderten und Kranken. Das ist der Trick. Den kennen wir schon von der Abschaffung der Mindestsicherung in Niederösterreich."
Auch die Soforthilfe funktioniere in Niederösterreich nicht, sagt Schenk, denn "es gibt keine klare Definition von Alleinerziehenden, die Wohnkosten sind nicht tragbar, Menschen mit Behinderungen wird ein selbstbestimmtes Leben verweigert. Und die Entscheidungsfristen am Amt sind zu lange, wodurch große Mängel im Vollzug auftreten".
"Wer von einer Reform der Sozialhilfe spricht, darf zu diesen Missständen und Problemen in den Bundesländern nicht schweigen", kritisiert Schenk das "einseitige und unausgewogene Reden" über staatliche soziale Absicherung.
Zurück zum Domizil der Großfamilie Bleier: "Ich muss jetzt mit meinem Sohn lernen", sagt Jasmin Bleier kurz angebunden. "Gerade habe ich mit meinem 14-jährigen Sohn darüber gesprochen. Die wohl größte Angst ist, dass wir uns das Leben bald nicht mehr leisten können und auf kurz oder lang alles verlieren."
Die junge Mutter klingt traurig: "Ich wünsche mir nur, dass meine Kinder einmal in sorgenfreie Zukunft gehen können, ohne ständig Angst haben zu müssen."