Österreichs amtierender Finanzminister, Markus Marterbauer, hat kürzlich verkündet, in die Preise für Lebensmittel eingreifen zu wollen. Was die einen als Eingriff in den Markt zurückweisen, sehen andere als Chance, die Teuerung einzudämmen. Alleine in den letzten fünf Jahren sind die gängigsten Waren und Dienstleistungen im Durchschnitt um fast ein Drittel teurer geworden.
Die Teuerungen fallen insbesondere beim Tanken, Einkaufen und Restaurantbesuchen auf. "Heute" hat Josef Baumgartner zur aktuellen Inflationsentwicklung befragt. Als Ökonom, ist er seit 1996 in der Forschungsgruppe "Makroökonomie und öffentliche Finanzen" des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) tätig und dort mit Konjunktur-, Preis- und Inflationsanalysen beschäftigt.
„Von Jänner 2020 bis Juni 2025 ergibt sich eine durchschnittliche Preissteigerung von rund 28,7 Prozent.“Josef BaumgartnerSenior Economist, WIFO
"Inflation bedeutet zunächst, dass Preise laufend steigen und man sich mit dem gleichen Einkommen immer weniger kaufen kann", stellt Baumgartner eingangs klar. So einfach das klingt, so kompliziert ist das Ausrechnen konkreter Zahlen:
"Für die Berechnung der Inflation werden von der Statistik Austria Warenkörbe gebildet, Gruppen typischer Produkte und Dienstleistungen, die Haushalte regelmäßig kaufen. Dazu werden jeden Monat in 19 Städten rund 783.000 Preise in knapp 3.800 Geschäften erhoben."
Aus diesen Preisen werden 759 verschiedene Index-Positionen berechnet, die "dann zu den Preisveränderungen des gesamten Warenkorbes zusammen gewichtet und monatlich neu berechnet werden. So ergibt sich die monatliche Inflationsrate." Sie berücksichtigt, laut Baumgartner Nahrungsmittel (inkl. Getränke und Tabak), Energie, industrielle hergestellte Güter und Dienstleistungen.
Im vergangenen Juli betrug die Inflationsrate gegenüber dem Juli 2024 rund 3,5 Prozent. Auf den ersten Blick wirkt das nicht viel. Doch, wenn das Inflationsgeschehen anhält, dann summieren sich die Teuerungen, ähnlich einer Zinseszinsrechnung bei Erspartem. Mit dem gestiegenen Preisniveau verringert sich die reale Kaufkraft der Menschen, wenn sich das Einkommen nicht ebenso erhöht.
„Der Warenkorb, der Anfang 2020 noch 100 Euro gekostet hat, kostet heute 128,7 Euro.“Josef BaumgartnerSenior Economist, WIFO
Um Rückschlüsse über längere Zeiträume zu ziehen, wird die sogenannte rollierende Inflation berechnet – der Durchschnitt der Inflationsraten der letzten zwölf Monate, erklärt Baumgartner: "Vor allem für die jährliche Anpassung der Lohn- und Einkommenssteuergrenzen, für den Ausgleich der kalten Progression, Pensionsanpassungen, sowie auch für Lohnverhandlungen, ist diese Zahl eine wichtige Orientierungsgröße. Mittels der rollierenden Inflation kann aber auch das Ausmaß des im letzten Jahr erlittenen Kaufkraftverlustes eingeschätzt werden."
2022, nach dem Beginn der Russischen Invasion in die Ukraine, lag die durchschnittliche Jahres-Inflation bei 8,6Prozent. Zwar sank dieser Wert bis 2025 deutlich, insgesamt jedoch, sagt Baumgartner, "ergibt sich von Jänner 2020 bis Juni 2025 eine Preissteigerung von rund 28,7 Prozent. Das heißt: der Warenkorb, der Anfang 2020 noch 100Euro gekostet hat, kostet heute 128,7Euro." Salopp gesagt, sind weite Bereiche des Lebens um nahezu ein Drittel teurer geworden.
Zuletzt stieg aber auch die monatliche Inflationsrate wieder an: Lag sie zum Jahresende 2024 nur noch bei 2 Prozent und damit leicht unter dem Vergleichswert für den Euroraum, stieg sie mit Jahresbeginn auf 3,2 Prozent und blieb seither auf hohem Niveau. "Der Hauptgrund für diesen Anstieg liegt in höheren Haushaltsenergiepreise, im Besonderen bei Strom", sagt Baumgartner gegenüber "Heute".
Die Dezember 2022 eingeführte Strompreisbremse ist mit Jahresbeginn 2025 ausgelaufen, erinnert Baumgartner und gibt zu bedenken: "Gleichzeitig werden jetzt die Ökostromförderbeiträge und -prämien wieder eingehoben, die seit Januar 2022 ausgesetzt waren."
"Aber auch die Energieabgaben auf Strom und Gas wurden erhöht, nachdem diese im April 2022 auf den EU-Mindestsatz gesenkt wurden", sagt Baumgartner. "Weiters wurden die Netzentgelte für Strom und Erdgas zuletzt empfindlich angehoben – mit Jahresbeginn 2025 auch die CO₂-Bepreisung für Erdgas und Mineralölprodukte, wie Treibstoffe und Heizöl."
Von den hohen Energiepreisen betroffen sind aber nicht nur die Haushalte, sondern auch Regionen mit industrieller Wertschöpfung. Niederösterreichs Metallindustrie kämpft derzeit mit einem Produktionsrückgang. In Oberösterreich sieht es nicht besser aus.
"Die Maßnahmen, die noch durch die alte Bundesregierung getroffen wurden, haben durch ihr zeitgleiches Inkrafttreten die Inflationsrate um rund 0,9 Prozentpunkte erhöht", hält Baumgartner fest und gibt zu bedenken: "Der Anstieg um fast ein Prozent bleibt in der Inflationsberechnung für das gesamte Jahr 2025 als Basiseffekt erhalten."
Die Inflation wird aber auch durch Preissteigerungen bei Dienstleistungen getrieben: Im Juli habe die monatliche Inflationsrate für diesen Teilbereich bei plus 4,5 Prozent gelegen, sagt der WIFO-Ökonom. Er verweist hier auf die wichtigsten Preistreiber: Preisanstiege im Bereich Tourismus (Beherbergung und Gastronomie +5,5 Prozent) und Mieten (+3,9 Prozent).
Kurios: Rechnet man die jährlichen Inflationsraten der letzten 45 Jahre zusammen, so liegt die kumulative Inflationsrate von 1970 bis 2025 über 500 Prozent. Hätte es in derselben Zeit keine Produktivitätszuwächse, Lohnsteigerungen und Pensionsanpassungen gegeben, dann gäbe es den derzeitigen Wohlstand in Österreich nicht.
Viele Länder in Europa hätten die Inflation inzwischen in den Griff bekommen, in Österreich bleibe sie aber anhaltend hoch, heißt es seitens des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB): "Einzelne Grundnahrungsmittel sind bereits doppelt so teuer wie in Deutschland."
Aus diesem Grund unterstütze man den Vorstoß von Finanzminister Marterbauer, die Preise zu regulieren, sagt ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian: "Die vergleichsweise hohe Inflation belastet die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer genauso wie die Wirtschaft. Es braucht konkrete Maßnahmen."
"Finger weg von staatlicher Preisregulierung", fordert dagegen die Wirtschaftskammer (WKO) und beruft sich dabei auf die Aussagen von WIFO-Teuerungsexperte Baumgartner. Die WKO möchte im Unterschied zum ÖGB die "Arbeitskosten" für Unternehmen senken, indem der "Abgabendruck auf die Löhne" verringert wird. Weniger Abgaben bedeutet aber auch weniger Geld im Sozialstaat, der schon jetzt verschuldet ist.
Während sich die Kluft zwischen den Sozialpartnern auszuweiten droht, erwartet das WIFO für heuer im Jahresdurchschnitt eine Inflationsrate von etwas über 3 Prozent. Im kommenden Jahr soll sie sich zwischen 2,25 und 2,5 Prozent bewegen.