Problem Sozialhilfe

"Krank, 750 Euro zum Leben" – Frau (38) in Armutsfalle

Sie kritisiert Niederösterreichs Sozialgesetze: Sandra K. ist seit ihrer Kindheit chronisch krank – "eine Armutsfalle", wie sie sagt.
Aram Ghadimi
09.10.2025, 05:15
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"Kaum jemand kann sich vorstellen, was es bedeutet, seit der Schulzeit dauerhaft schwer krank zu sein und dann auch noch jahrelang um staatliche Unterstützung zu kämpfen", sagt Sandra K. (Name geändert) gegenüber "Heute". Ihre Autoimmunerkrankung verhinderte, dass die 38-Jährige die Schule abschießen konnte. Heute lebt sie in Armut.

"Ich zittere vor jeder Wahl, wenn bei Menschen, die auf soziale Unterstützung angewiesen sind, wieder gespart werden soll", sagt die Niederösterreicherin. K. war etwa 17 Jahre alt, als ihre Erkrankung erkannt wurde. Mittlerweile hat sie schon einen Schlaganfall, wochenlange Krankenhausaufenthalte und jahrelange Therapien hinter sich.

"Sollte Eltern verklagen"

"Schmerzfreiheit, so etwas gibt es für mich leider nie", erzählt sie im "Heute"-Gespräch. Wegen ihrer chronischen Erkrankung, an der sie seit der Schulzeit leidet, kann Sandra K. nur eingeschränkt arbeiten: "Für viele Menschen existiert keine andere Möglichkeit, als soziale Unterstützung. Doch der Staat behandelt Menschen mit Behinderung nicht auf Augenhöhe, sondern wie Kinder. Mein Fall ist ein Klassiker."

"Fragwürdige Regelung" in NÖ

Als in Niederösterreich das Sozialhilfegesetz geändert wurde, bekam Sarah K. plötzlich keine Unterstützung mehr. Das neu eingeführte Subsidiaritätsprinzip besagt nämlich, dass alle anfallenden Unterstützungsaufgaben und Verantwortlichkeiten zuerst auf der kleinstmöglichen Ebene (Individuum, Familie, Gemeinde) wahrgenommen werden sollen, bevor es Hilfe vom Staat gibt. Für Sandra K. eine "fragwürdige Regelung".

Das Subsidiaritätsprinzip

Das vormalige NÖ Mindestsicherungsgesetz (NÖ MSG) trat am 31.12.2019 außer Kraft und wurde durch das NÖ Sozialhilfe-Ausführungsgesetz (NÖ SAG) ersetzt. Das Subsidiaritätsprinzip ist dort unter § 3 Abs. 2 festgehalten:

"Leistungen der Sozialhilfe sind subsidiär und nur insoweit zu gewähren, als der Bedarf nicht durch eigene Mittel des Bezugsberechtigten oder durch diesem zustehende und einbringliche Leistungen Dritter abgedeckt werden kann." Behörden verweisen Betroffene, wie Sandra K., deshalb vielfach zunächst an die eigene Familie.

Auf einmal sollte die Familie von Sandra K. für ihren Unterhalt aufkommen. Das Problem dabei: Die bereits pensionierten Eltern waren verschuldet, weil ihre Firma vor Jahren in Konkurs gegangen war.

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Kampf um Eigenständigkeit

"Ich wollte mit 36 Jahren endlich ausziehen, doch die Behörden bezeichneten mich als erwerbsunfähiges Kind", ärgert sich K., der von der zuständigen Bezirkshauptmannschaft nur nahegelegt worden sei, dass sie ihre Eltern doch auf Unterhalt klagen soll, wenn sie ausziehen möchte: "Man gestand mir 400 Euro zu. Ich sollte ewig bei meinen Eltern wohnen, weil das günstiger ist."

"Familien werden in Armut gezogen"

Als sich ihre Familie das Heizen nicht mehr leisten kann, beschließt Sandra K., sich mithilfe der Arbeiterkammer zu wehren: "Diese Belastung war für meine Eltern nicht mehr zumutbar", sagt sie. Dann hebt sich ihre Stimme: "So werden auch noch ganze Familien in die Armut hineingezogen. Das ist mehr als nur unwürdig!"

Durch ihre Anfrage bei der Arbeiterkammer gelangt K. schließlich zum VertretungsNetz, ein Erwachsenenschutzverein, der Menschen mit Behinderung zu ihren Rechten verhilft. Nach Jahren gelingt es ihr endlich aus ihrem Kinderzimmer in eine 40 Quadratmeter große Wohnung zu ziehen: "Das Land übernimmt 400 Euro an Mietkosten."

"Heute" sprach zum Fall von Sandra K. mit dem stellvertretenden Direktor der Diakonie Österreich, Armutsexperte Martin Schenk: "Es gibt viele vergessene und verschwiegene Probleme in der Sozialhilfe", sagt Schenk und kommt sofort auf ein Kernproblem in Niederösterreich zu sprechen: "Menschen mit schweren Krankheiten oder Behinderungen wird ein selbstbestimmtes Leben verweigert. Da geht es um bis zu einem Drittel aller Bezieher, je nach Bundesland."

"Den Eltern die Pension wegnehmen"

Wie im Fall von Sandra K., sagt Schenk, könnten Menschen mit Behinderungen dazu gezwungen werden, ihre Eltern auf Unterhalt zu klagen – auch, wenn sie selbst längst volljährig sind: "In manchen Bundesländern werden längst volljährige Betroffene sogar gezwungen, ihren Eltern einen Teil der – oftmals geringen – Pensionsleistungen per Unterhaltsklage wegzunehmen."

"Hoher Preis" für Selbstständigkeit

"Menschen mit Behinderungen, die den Schritt aus der Wohneinrichtung in eine eigene Wohnung und damit mehr Selbstständigkeit wagen, bezahlen dafür häufig einen hohen Preis", sagt Schenk, denn in den meisten Bundesländern werden Geldleistungen für Menschen mit Beeinträchtigungen nicht in der Behindertenhilfe, sondern in der Sozialhilfe geregelt.

"Zieht ein Mensch mit Behinderung in eine eigene Wohnung, wird er zum Sozialhilfebezieher", sagt Schenk weiter: "Dann müssen Betroffene zunächst ihre Ersparnisse verbrauchen und in der Folge die eigenen Eltern für Unterhalt, schlimmstenfalls klagsweise, in Anspruch nehmen."

Zurück nach Niederösterreich, wenige Kilometer südlich von Wien: Sandra K. lebt heute selbstständig in ihrer kleinen Wohnung: "Abzüglich der Miete, für die das Land aufkommt, bleiben mir 750 Euro. Davon muss ich alle meine Lebenshaltungskosten decken." Zusätzlich geht K. geringfügig arbeiten, der Betrag, den sie damit verdient wird, ihr aber von diesem Geld wieder abgezogen.

"Für Menschen wie mich ist die Sozialhilfegesetzgebung in Niederösterreich eine Armutsfalle", sagt K. Die 38-Jährige kann sich nicht vorstellen, keiner Arbeit nachzugehen: "Im Rahmen meiner Kräfte, möchte ich etwas tun, egal ob sich das finanziell auszahlt." Dann klingt sie traurig: "Wie ich aber jemals aus der Armut rauskommen soll, weiß ich nicht."

{title && {title} } agh, {title && {title} } Akt. 09.10.2025, 15:47, 09.10.2025, 05:15
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