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Trolle machten Internet-Star zum Norwegen-Attentäter

Twitter-Trolle machten einen umstrittenen YouTuber zum Norwegen-Attentäter. Zahlreiche Medien fielen darauf hinein.

Leo Stempfl
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Mittwochabend tötete ein 37-Jähriger aus Dänemark fünf Menschen.
Mittwochabend tötete ein 37-Jähriger aus Dänemark fünf Menschen.
HAKON MOSVOLD LARSEN / AFP / picturedesk.com

Auch aus dem deutschsprachigen Raum gibt es einen Seitenstrang zum Amoklauf in Norwegen. In Kongsberg zückte ein Mann Mittwochabend plötzlich Pfeil und Bogen, schoss damit über eine halbe Stunde lang auf Zufallsopfer. Am Ende sind fünf tot und zwei verletzt, der Verdächtige wird festgenommen.

 34 grauenvolle Minuten – Der tödliche Abend in Norwegen >>

Schnell kommen Fragen auf. Wer ist der Verdächtige? Was ist sein Motiv? Handelt es sich gar um einen Terrorakt? Letzteres schließ mittlerweile auch die Polizei nicht mehr aus. Mittwochabend gab es hingegen noch keinerlei Infos. Der ideale Nährboden für Fake News.

Haider

Die junge Generation weiß, sich die Reichweite in sozialen Netzwerken zunutze zu machen – und auch, wie man Informationen so formuliert, dass sie wahrscheinlicher von Medien aufgegriffen werden. Solch eine Falschnachricht nahm unmittelbar nach der Tat aus der Twitter-Bubble der "Haider" ihren Ausgang.

"Haider" ist die fränkische Aussprache des englischen "Hater". Ihr Hass-Objekt: Der YouTuber und Streamer "Drachenlord", bürgerlich Rainer Winkler.

Schanze

Bei seinem Temperament braucht es nicht viel, um ihn "auf die Palme zu bringen". Ein dummer Kommentar, eine plumpe Beleidigung reicht, um den Drachenlord in von Schreikrämpfen gekennzeichnete Rage zu versetzen. In solch einem Tobsuchtsanfall traf er vor mehreren Jahren eine verhängnisvolle Entscheidung: Seine Hater (Haider) rief er dazu auf, doch an seine Adresse zu kommen und ihm das alles ins Gesicht zu sagen.

Es kam, wie es kommen musste, seitdem wird sein Haus (die "Schanze") im 40-Seelen-Kaff Altschauerberg auf täglicher Basis terrorisiert, mit Farbbeuteln, Fäkalien und Pyrotechnik beworfen, "Haider" pilgern regelrecht über hunderte oder tausende Kilometer dort hin, um den Drachenlord in seinem mittlerweile baufälligen und mit Bauzäunen abgeriegelten Haus zu provozieren.

Im Internet vergeht kaum eine Stunde ohne Drachenlord-Posting, mehrere Blogs dokumentieren jede Handlung und sollen seinen geistigen Verfall aufzeigen. Nicht selten kommt es zu direkten Auseinandersetzungen zwischen Tür und Angel der "Schanze". In gewisser Weise leben aber beide Seiten davon: Der Drachenlord kann auf eine Basis an Klicks setzen, die Meute kann sich an jemandem abarbeiten.

Rainer Winklarson

So geschehen auch am Mittwoch. Deutsche Troll-Accounts mit mehreren tausend Followern posten "News" zum Amoklauf in Norwegen. "Der mutmaßliche Täter 'Rainer Winklarson' kündigte die Taten mehrere Tage vorher auf seinem Youtube-Kanal an führte sogar seine Schießkünste vor." Dazu einige Hashtags und ein Bild von Drachenlord, aufgenommen von hinten rechts beim Bogenschießen in seinem Garten.

Andere Accounts greifen die "Nachricht" auf, allen voran der damals 13.000 Follower starke (als seriöse gelesene) Account "Terror Alarm". Eigentlich. Eine Stunde später muss "Terror Alarm" richtigstellen, Twitter löscht den Tweet wegen eines Verstoßes gegen die Regeln. Doch zu diesem Zeitpunkt hatten bereits zahlreiche Medien die Info aufgegriffen. Schon 2019 wurde er in Utrecht zum "Killer" gemacht.

Bis in die italienische Nachrichtenagentur schaffte es der erfundene Name "Rainer Winklarson", immerhin mit dem Hinweis auf noch ausstehende Bestätigung durch die Polizei. Zig, wenn nicht hunderte Nachrichtenseiten auf mehreren Kontinenten hatten zu diesem Zeitpunkt schon Bild und Namen übernommen. Auf Google finden sich mittlerweile über 2.000 Einträge.