Seit seinem Amtsantritt erlässt Donald Trump in rasantem Tempo Dekrete (eng. "executive order") und trifft Entscheidungen, die die USA auf den Kopf stellen. Von Strafzolldrohungen und dem Wunsch, Grönland zu kaufen, über Massenabschiebungen illegaler Einwanderer bis hin zur Ernennung Elon Musks zum Leiter einer neu geschaffenen Effizienzbehörde. Kaum wird eine radikale Entscheidung publik, folgt bereits die nächste. Die Medien berichten ununterbrochen über Trumps Vorgehen.
Auf Social Media wird spekuliert, dass dies Teil einer bewussten Ablenkungsstrategie ist: die "Shock and Awe"-Taktik. Der Begriff stammt aus dem Militär und beschreibt eine Methode, bei der eine plötzliche Flut an Ereignissen den Gegner verwirren soll und einzelne radikale Entscheidungen untergehen.
Der politische YouTuber JolahPolitics etwa erklärt auf seinem Kanal mit fünf Millionen Zuschauern in einem viralen Tiktok-Video, dass hinter den vielen politischen Entscheidungen die wahren Absichten hinter Trumps Politik verdeckt würden und gezielt von wichtigen Themen abgelenkt werde: "Elon Musk will uns manipulieren und kontrollieren. Donald Trump ist der Ablenkungsfaktor, der Chaos-Agent der herrschenden Klasse. Er stiehlt uns unsere Demokratie."
Die Strategie ist bereits von Autorin Naomi Klein in ihrem Buch "The Shock Strategy" beschrieben worden: Durch gezielte Krisen und Dekret-Bombardierungen werde die Gesellschaft desorientiert, um umstrittene Reformen durchzusetzen, die letztlich nur einer kleinen Elite nützen.
Auch der Politikexperte Johannes Thimm sieht darin eine bewusste Taktik: "Es geht einerseits darum, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, andererseits aber auch darum, die Medien und die Bürger mit der Flut an Dekreten zu verwirren." Am Ende wisse niemand mehr, was wichtig sei und was nicht. Nicht mit allen Dekreten werde Trump durchkommen, und das sei auch einkalkuliert, so zum Beispiel das Geburtsortprinzip: "In der Verfassung ist das klar geregelt, und Trump kann diese nicht einfach ändern."
Johannes Thimm ist Doktor der Politikwissenschaften und arbeitet für die Stiftung Wissenschaft und Politik am Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit. Sein Forschungsschwerpunkt liegt unter anderem auf den USA und deren Außenpolitik.
USA-Politexperte Johann Aeschlimann hält hingegen eine absichtliche Verwirrungstaktik für unwahrscheinlich. "Vielmehr setzt er einfach das um, was er angekündigt hat, und versucht, damit seine radikalen Anhänger schnellstmöglich zufriedenzustellen", denkt er. Das sei nichts Neues in der US-Politik. "Franklin D. Roosevelt hat ebenfalls seine wichtigsten großen Programme zu Beginn seiner Amtszeit auf den Tisch gelegt." Diese sogenannten "First 100 Days" seien entscheidend dafür, ob sich neue politische Vorhaben durchsetzen ließen: "Amerikanische Präsidenten haben zu Beginn ihrer Amtszeit die größte Macht."
Aeschlimann betont, dass die neue Trump-Administration aus den Fehlern von 2016 gelernt habe. Damals sei die Kommunikation oft undurchsichtig gewesen, und viele Versprechungen hätten zurückgenommen werden müssen: "Diesmal will Trump offenbar klarer kommunizieren und seine Vorhaben zügig und konsequent durchsetzen."