Ukraine

"Jeder ukrainische Sieg bringt uns dem Frieden näher"

Putin zieht seine Truppen aus der strategisch wichtigen Stadt Cherson zurück. Russlandexperte Dubowy ordnet die brisante neue Lage in der Ukraine ein.

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Ein Mann in Militärkleidung bei einer Siegesgeste neben einer ukrainischen Flagge in Kalynivske in der Region Cherson am 9. November 2022.
Ein Mann in Militärkleidung bei einer Siegesgeste neben einer ukrainischen Flagge in Kalynivske in der Region Cherson am 9. November 2022.
Handout via REUTERS

Russland hat den Rückzug seiner Truppen westlich des Flusses Dnipro angeordnet. Das teilte Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Mittwoch mit. Schoigu plant nun, dass die Streitkräfte am Ostufer Verteidigungspositionen einnehmen sollen. Russlandexperte Alexander Dubowy – er lebt und arbeitet unter anderem in Wien – ordnet die Lage ein.

Herr Dubowy, was hat der Rückzug der Russen aus einem annektierten Gebiet zu bedeuten?
Alexander Dubowy: Es handelt sich dabei um einen taktischen Rückzug. Cherson war die einzige Provinzhauptstadt, die Russland einnehmen konnte. Dass sie sich nun aus der Stadt zurückziehen, ist eine sehr herbe Niederlage und auch das Eingeständnis der Russen dazu. Dass im russischen Staatsfernsehen nicht darüber berichtet wird, ist ein deutlicher Hinweis, dass es auch ein großer Sieg für die Ukraine ist.

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    Cherson liegt am westlichen Dnipro-Ufer nur wenige Kilometer flussaufwärts von dessen Mündungsdelta ins Schwarze Meer.
    Cherson liegt am westlichen Dnipro-Ufer nur wenige Kilometer flussaufwärts von dessen Mündungsdelta ins Schwarze Meer.
    Screenshot Google Maps

    Ist dies ein Wendepunkt im Krieg?
    Nein, ein Wendepunkt ist es nicht. Es zeigt aber, dass die Ukraine eine erfolgreiche Gegenoffensive führt. Wie es weitergeht, ist noch offen.

    Verteidigungsminister Sergej Schoigu erklärte den Rückzug damit, dass das Leben und die Gesundheit der Soldaten Vorrang haben. Wie beurteilen Sie diese Aussage?
    Das ist lachhaft. Die Tatsache, dass die Russen mit der faktischen Generalmobilmachung viele unerfahrene Soldaten in den Krieg schickten, zeigt, dass das Leben der eigenen Männer keine Rolle spielt. Die Russen schaffen es einfach nicht, Cherson zu verteidigen.

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      Düstere Mienen beim Besuch des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu (r.) beim Oberkommando des Ukraine-Feldzugs.
      Düstere Mienen beim Besuch des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu (r.) beim Oberkommando des Ukraine-Feldzugs.
      IMAGO/SNA

      Da die Russen vermehrt zurückgetrieben werden: Muss die Ukraine nun mit einem erneuten und schweren Gegenschlag rechnen?
      Es ist immer wieder die Rede davon, dass Moskau den Kachowka-Staudamm oberhalb von Cherson sprengt. Die potentiellen Folgen wären verheerend, mehr als 80 Wohnorte könnten überflutet werden. Auch bezieht das Kernkraftwerk Saporischschja Kühlwasser aus dem Staudamm. Eine indirekte Drohung war einige Male zu hören. Ob Russland diesen Schritt auch wagt, ist allerdings unsicher.

      Weshalb?
      Es wäre zu offensichtlich, wer daran schuld wäre und würde auf internationaler Ebene, so auch vonseiten des globalen Nicht-Westens, scharf kritisiert werden.

      Sollten die ukrainischen Truppen den Rückzug der Russen nutzen und gleich die Verteidigungslinie auf dem anderen Dnipro-Ufer angreifen?
      Die Entscheidung der Russen, sich jetzt zurückzuziehen, hängt damit zusammen, dass sie die Truppen rechtzeitig in Sicherheit bringen wollen. Die ukrainischen Truppen sind also noch nicht so weit vorgerückt. Ein schnelles Vorpreschen halte ich aber nicht für wahrscheinlich. Es wäre ein zu hohes Risiko, würde die Truppen der Ukrainer verwundbarer machen und die Versorgung erschweren.

      Experten sagen, dass die Erfolge der Ukraine eine Eskalationsspirale mit sich bringen werden. Sind Sie gleicher Ansicht?
      Das halte ich für falsch. Selbst bei oberflächlicher Betrachtung kann diese Argumentation kaum nachvollzogen werden. Denn Russland gesteht offensichtlich die militärische Niederlage in diesem Gebiet ein. Dadurch werden faire Friedensverhandlungen zunehmend wahrscheinlicher. Je weiter die Ukraine vorrückt, desto besser stehen die Chancen für Frieden. Oder anders gesagt: Jeder ukrainische Erfolg bringt uns dem Frieden näher.

      Was meinen Sie mit fairen Friedensverhandlungen?
      Bislang wurden potentielle Friedensverhandlungen auf russischer Seite stets als voraussetzungsloser Diktatfrieden betrachtet. Damit es eine ehrliche Verhandlung gibt, bedarf es der militärischen und finanziellen Stärkung der Ukraine durch den Westen. Militärische Erfolge sind die Grundvoraussetzungen für ehrliche Verhandlungen. Diese könnten jedoch jahrelang dauern.

      Was wäre eine faire Forderung der Ukrainer?
      Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat in dieser Woche mehrere Voraussetzungen für die Friedensverhandlungen mit Russland formuliert; so beispielsweise den Rückzug Russlands aus allen besetzten Gebieten. Wahrscheinlich ist dies freilich nicht. Doch angesichts der zahlreichen Niederlagen Russlands sowie der wachsenden Kosten dürfte der Kreml verhandlungsbereiter werden.

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