Zwei Meter groß, dürr wie ein Skelett – und statt eines Kopfes zwei heulende Sirenen: "Siren Head" ist die neueste Internet-Schreckfigur, die derzeit Tiktok und Youtube überschwemmt. In den Clips lockt das Wesen seine Opfer mit verzerrten Radiostimmen an – bevor ihnen Trommelfelle, Augen oder Nasenhöhlen platzen. Nichts für schwache Nerven – und doch: Selbst Kinder im Vorschulalter schauen sich die Videos millionenfach an.
Erst vor einem Jahr berichtete "20 Minuten" über den bizarren "Skibidi Toilet"-Trend – nun sorgt mit "Siren Head" bereits der nächste Horror-Hype unter Kleinkindern für Aufsehen.
Lehrpersonen berichten gegenüber 20 Minuten, wie Kinder ihnen begeistert von der verstörenden Figur erzählen: "Die Kinder schauen die Clips auf ihren Tablets rauf und runter", sagt Sabrina (29), Primarlehrerin aus der Ostschweiz: "Manche ahmen in der Pause die Figur nach und geben Sirenentöne von sich oder malen die Figur im Unterricht."
Besonders heikel werde es jeweils beim nationalen Sirenentest. "Dann drehen einige völlig durch, weil sie Angst haben, dass sie jetzt der 'Siren Head' holen kommt", erzählt die Primarlehrerin weiter. Sie müsse dann ihre Erstklässler beruhigen und erklären, dass "Siren Head" nur erfunden sei.
Saskia (40) kennt die Reaktion nur zu gut, auch ihr siebenjähriger Sohn bekam plötzlich Angst beim Sirenentest. Ihr Sohn entdeckte "Siren Head" bereits mit drei Jahren in einem Youtube-Video: "Ich war schockiert, was mein Kind da schaut – so etwas sollte kein Dreijähriger sehen." Da ihn eigentlich nur das Lied im Hintergrund faszinierte, konnten sie ihn von den Videos abbringen und ihn den Song auf Spotify anhören lassen, erzählt sie: "Um ihm zusätzlich die Furcht zu nehmen, kaufte ich ihm 'Siren Head'- und 'Toilet Head'-Figuren. Er fand sie großartig und nahm sie überallhin mit", erzählt sie.
Heute, mit siebeneinhalb Jahren, seien glücklicherweise keine Traumata oder Ähnliches festzustellen, die Monster seien für ihren Sohn schlicht zu seinen Lieblingsspielzeugen geworden: "Er hat keine bleibende Angst entwickelt", meint Saskia.
Jonas (23) beobachtet den Trend bei seinen jüngeren Geschwistern – einem achtjährigen Mädchen und sechsjährigen Zwillingen. "Ich habe meinen Eltern mehrfach gesagt, dass diese Clips die Kinder verstören – sie schlafen danach schlecht", erzählt er. Sein kleiner Bruder wache nachts häufig auf, habe Albträume und leide unter Nachtschreck. "Ich finde das Ganze wirklich problematisch."
Laut dem Kinderpsychologen Felix Hof sind Kinder emotional und kognitiv noch nicht für solche Horrorserien bereit und können es noch nicht verarbeiten: "Ich habe Kinder in meiner Therapie, die nach solchen Videos nicht mehr einschlafen können, weil sie glauben, die Figuren seien im Zimmer oder unter dem Bett." Dass viele Kinder überzeugt sind, "Siren Head" sei echt, überrascht den Psychologen nicht: "In diesem Alter ist die Realitätswahrnehmung noch in Entwicklung. Kinder müssen Realität zuerst erfahren, ihnen muss geholfen werden, Realität einzuüben und einzuschätzen." Der Konsum solcher Clips könne gravierende Folgen haben – für die Identitätsentwicklung, die Wahrnehmung von Realität und die psychische Stabilität. "Wenn Kinder Fiktion und Realität nicht unterscheiden können, kann das zu echten Traumatisierungen führen", warnt Hof.
Kinder seien Weltenerkunder, erklärt Hof: "Sie wollen verstehen, was um sie herum passiert – und sind besonders empfänglich für alles, was surreal, bizarr oder schwer einzuordnen ist." Je verrückter oder unheimlicher eine Figur, desto stärker der Reiz. Viele Kinder würden sich in diese Fantasiewelten hineinsteigern, weil sie dort "groß und stark" sein könnten – im Gegensatz zur realen Welt, in der sie klein und abhängig sind.
"Erwachsene müssen wissen, worum es in diesen Clips geht – und welche Faszinationspunkte sie haben", betont Hof. Nur wer versteht, was Kinder reizt, kann Grenzen setzen, ohne die Kinder damit bloßzustellen oder auszugrenzen.