"Gähnen ist ein stummer Schrei nach Kaffee" – diesen Spruch findest du auf so manchem Häferl in der Kantine. Ganz falsch ist das nicht, aber so einfach lässt sich das Gähnen wissenschaftlich nicht erklären. Dafür gibt es sogar ein eigenes Forschungsgebiet, die Chasmologie. Die beschäftigt sich mit den Ursachen des Gähnens und hat im Lauf der Zeit viele, teils recht skurrile Theorien hervorgebracht. Aber warum reißt man eigentlich regelmäßig den Mund auf? Hier findest du die wichtigsten Erklärungsversuche.
Viele glauben, dass Gähnen dazu da ist, das Blut mit Sauerstoff anzureichern oder einen Sauerstoffmangel auszugleichen, der durch Müdigkeit entsteht. Diese Theorie ist zwar weit verbreitet, aber sie gilt als widerlegt. Wie orf.at berichtet, hat der US-Psychologe Robert Provine in den 1980er Jahren Versuche gemacht, bei denen Testpersonen Luft mit unterschiedlichem Sauerstoffgehalt – sogar reinen Sauerstoff – einatmen mussten. Die Gähnfrequenz blieb trotzdem gleich, auch wenn sich der Sauerstoffgehalt im Blut veränderte. Mehrere Versuche haben das bestätigt: Sauerstoff hat keinen Einfluss aufs Gähnen.
Dafür gibt es Hinweise auf die sogenannte Kühlhypothese. Die Idee dahinter: Nach dem Schlaf sinkt die Körpertemperatur etwas ab, und Gähnen könnte dazu beitragen, Kopf und Körper durch das Einatmen kühler Luft zu kühlen. Genau genommen geht es aber darum, eine ideale Temperatur zu erreichen. Ein Forschungsteam der Uni Wien hat vor ein paar Jahren herausgefunden, dass wir bei etwa 20 Grad am häufigsten gähnen – bei sehr heißer oder sehr kalter Luft dagegen weniger. Das spricht dafür, dass der Wärmeaustausch beim Gähnen eine Rolle spielt.
Eine weitere plausible Theorie: Gähnen könnte helfen, die Atmung zu stabilisieren. "Wir haben rund um die Luftröhre Muskulatur, die den Atemweg offen hält", erklärt der deutsche Schlafforscher Dieter Riemann gegenüber ORF Wissen. "Wenn wir müde werden, dann ist diese Muskulatur nicht mehr so stark "tonisiert" (gestärkt). Die meisten Menschen haben beim Einschlafen kurze Atempausen. Die Idee ist, dass Gähnen den Atemweg nochmal so richtig stimuliert." Es ist also wie eine kleine Übung für die Atemmuskulatur und könnte sogar Atemaussetzern vorbeugen.
Eine neuere Hypothese beschäftigt sich mit der Gehirnaktivität. Laut der sogenannten "Arousal-Hypothese" ist Gähnen ein Schalter zwischen geistigem Dämmerzustand und gesteigerter Aufmerksamkeit. Die Theorie: Gähnen erhöht den Puls, aktiviert die Halsschlagader und setzt Botenstoffe wie Adenosin und Katecholamine frei. Diese helfen dem Hirn, in Schwung zu kommen.
Auch der soziale Aspekt sollte nicht vergessen werden. Gähnen ist ansteckend und könnte den Zusammenhalt in einer Gruppe stärken. Vielleicht zeigen wir damit auch unsere Empathie. Dafür spricht, dass sogenannte Spiegelneuronen aktiv werden, wenn wir uns vom Gähnen der anderen anstecken lassen – manchmal sogar über Artgrenzen hinweg.
Das Fachmagazin "Biology Letters" hat schon vor ein paar Jahren berichtet, was Hundebesitzer längst wissen: Auch Hunde lassen sich vom Gähnen ihrer Menschen anstecken. Und britische Forscher haben im Sommer herausgefunden, dass sogar Schimpansen zu gähnen beginnen, wenn sie einen Roboter sehen, der das Gähnen nachmacht.
Welche dieser Theorien stimmt jetzt wirklich? Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus mehreren Gründen. Schlafforscher Dieter Riemann glaubt, dass Gähnen ursprünglich aus physiologischen Gründen entstanden ist und später die sozialen Aspekte dazugekommen sind.
Im Mittelpunkt steht jedenfalls die Müdigkeit: "Wir gähnen, weil wir müde sind. Wenn wir nicht müde sind, dann gähnen wir nicht." Das macht sich auch die sogenannte Gähn-Therapie zunutze. Der schottische Schlafforscher Colin Espie hat eine Methode entwickelt, bei der er seinen Patienten mit Schlafproblemen Videos von gähnenden Menschen zeigt – ganz ohne Medikamente.