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Was will Barca eigentlich mit Kevin-Prince Boateng?

Dieser Transfer überrascht die Fußballwelt: Kevin-Prince Boateng ist neu Barcelona-Stürmer. Wieso? Hier ein Erklärungsversuch zur Verpflichtung.

Heute Redaktion
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Er kommt von Sassuolo. Ein halbes Jahr war er dort, schoss ganze vier Tore in 13 Ligaspielen. Zuvor ein Jahr bei Eintracht Frankfurt, ein Jahr bei Las Palmas, eine halbe Saison bei der AC Milan. Barcelona ist jetzt sein elfter Verein. Kevin-Prince Boateng ist also der Stürmer, den Barca gesucht hat. Wirklich? Kann der 31-Jährige den Katalanen tatsächlich helfen, den ersehnten Champions-League-Titel zu holen?

Gab es wirklich keinen Besseren?



Alvaro Morata soll weit oben auf dem Wunschzettel gewesen sein, wie spanische Medien berichteten. Doch der frühere Real-Stürmer entschied sich, von Chelsea zu Atletico Madrid zu wechseln. Aus einem Grund, der Barcas Dilemma perfekt widerspiegelt: Wieso sollte der spanische Nationalspieler zu einem Verein wechseln, wo er viel weniger zum Einsatz kommen würde als beim englischen Topklub? Denn Barcelona sucht vor allem einen Back-up für Luis Suarez. Der Uruguayer ist kongenialer Partner von Lionel Messi im Sturm und schoss in der Liga bisher 15 Tore. Dazu ist sein unermüdlicher Einsatz Gold wert für Spaniens Meister.

Ebenfalls zur Debatte standen der frühere Nationalspieler Fernando Llorente (Tottenham), der Uruguayer Cristhian Stuani (Girona) und der Mexikaner Carlos Vela (Los Angeles FC). Für Boateng sprach, dass er die spanische Liga aus seinem Jahr bei Las Palmas gut kenne, schreibt "Mundo Deportivo". Angesichts der Tatsache, dass Llorente und Vela deutlich mehr Liga-Erfahrung in Spanien mitbringen und Stuani gerade die Meisterschaft etwas aufmischt, eine merkwürdige Begründung.

Wieso diese Hauruck-Aktion?



Namen wie Timo Werner (RB Leipzig), Luka Jovic (Eintracht Frankfurt) oder Krzysztof Piatek (Genua) geisterten immer wieder durch Spaniens Blätterwald, fielen aber wegen ihrer Preisschilder durch den Raster. Vorläufig. Denn Barcelona suchte einen, der eigentlich nur bis Saisonende bleiben soll – aufgrund der zweifelhaften Kaderplanung im letzten Sommer. Da entschied sich Trainer Ernesto Valverde für den Verbleib von Munir El Haddadi und gegen Paco Alcacer. Letzterer wurde an Borussia Dortmund ausgeliehen, mit einer (bereits aktivierten) Kaufoption von rund 24 Millionen Euro. Alcacer schoss in 13 Bundesligaspielen 12 Tore, sein Marktwert beträgt nun 40 Millionen Euro. Und Munir, dessen Vertrag im Sommer ausläuft, weigerte sich zuletzt, das Arbeitspapier zu verlängern. Also verkaufte man ihn im Jänner für eine Million an Sevilla. Deshalb die Eile.

Passt Boateng zum Barca-Spielstil?



Boateng ist zwar technisch hochbegabt, gilt aber dennoch als Mann fürs Grobe. Wohl vor allem wegen seines schlimmen Fouls an Deutschlands damaligem Kapitän Michael Ballack, der deswegen die WM 2010 verpasste.

Der in Berlin geborene ehemalige Nationalspieler von Ghana kämpfte auch später nicht gegen den Ruf an. Außerdem war Kurzpassspiel auch nicht das Geheimrezept der Frankfurter, um 2018 überraschend den DFB-Pokal im Finale gegen die Bayern zu gewinnen. Das verriet Boateng in einer TV-Doku gleich selber. Wie es dazu kam, dass er das Siegestor von Ante Rebic einleitete? "Vor dem Spiel hat der Ante in seinem unvergleichlichen Deutsch gesagt: Bruda, schlag den Ball lang! Und ich habe ihm gesagt: Bruda, ich schlag den Ball lang!" Worte, die so in der Barca-Kabine relativ wenig zu hören sein dürften.

Wie waren die Reaktionen?



Nicht zuletzt deshalb eher durchzogen. Stuani schien wegen seiner beeindruckenden Torquote im Vorteil (aktuell 12 Ligatore), umso überraschter waren sie in Spanien, als plötzlich die Meldung kam, dass Boateng in die katalanische Metropole wechseln soll. Die Sportzeitung "Marca" bezeichnete sie einmal als "surreal" und später als "Witz". Außerdem erinnern sie in Madrid genüsslich daran, dass Boateng vor zwei Jahren sagte, dass er lieber bei Real als Barcelona spielen würde. Die Barca nahestehenden Zeitungen sind noch etwas zurückhaltend. Bei "Mundo Deportivo" wollen sie ihm immerhin Zeit geben. "Warten wir ab, ob er mit 31 die Chance seines Lebens packt: Auf der Barca-Bank sitzen zu dürfen."

Also, wieso zur Hölle hat Barca nun Boateng geholt?



Er ist auf mehreren Weisen einsetzbar. Er kann Mittelstürmer, zentrales Mittelfeld, tanzen und rappen. Ausserdem trägt kaum einer das Barca-Snapback-Cap so schön wie er. Aber sonst?

Immerhin: Boateng ist der einzige der realistischen Kandidaten, der zuletzt einen Titel gewinnen konnte. Ob das eine Rolle gespielt hat? Es wird jetzt immerhin als eines der wenigen Argumente für Boateng verwendet. Ein zweites liegt Jahre zurück: 2011 schoss er in der Champions League ein hübsches Tor. Mit Milan, gegen den FC Barcelona.

Schwer zu glauben ist jedoch, dass die Barca-Verantwortlichen sich ein siebeneinhalb Jahre altes Youtube-Video anschauten und begeistert riefen: "Den brauchen wir!" Vielmehr dürfte es primär am Mangel an Alternativen gelegen haben. Und an Boatengs abgebendem Verein. Seit Sassuolo Barcelonas Innenverteidiger Marlon ausgeliehen (und im vergangenen Sommer fest verpflichtet) hat, pflegen die beiden Vereine gute Verbindungen. Auch deshalb kam Barca wohl günstig an Boateng: eine Million Leihgebühr und Kaufoption für acht Millionen Euro.

Deshalb ist das Risiko mit Boateng relativ gering. Zumindest finanziell. Nicht auszudenken jedoch, sollte sich Luis Suarez in der entscheidenden Saisonphase verletzen. Dann heißt es in der Barca-Kabine vielleicht doch: "Amigo, schlag den Ball lang!" (heute.at)