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Wohlfahrt: "Der Fußball kommt nicht von der Uni"

Austria-Sportdirektor Franz Wohlfahrt über die aufreibende Transferzeit, Holzhausers famose Wertsteigerung und das wahre Geheimnis des Fußballs.

Heute Redaktion
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Seit Jänner 2015 leitet Franz Wohlfahrt als Sportdirektor die Geschicke der Wiener Austria.
Seit Jänner 2015 leitet Franz Wohlfahrt als Sportdirektor die Geschicke der Wiener Austria.
Bild: picturedesk.com/APA

Heute.at: Herr Wohlfahrt, die Transferzeit hält Sie jetzt seit längerem schwer auf Trab. Wissen Sie, wie viele Flugmeilen oder Autokilometer Sie in den letzten Wochen abgespult haben?

Franz Wohlfahrt: "Nein. Das zähle ich nicht mit, das geht sich nicht aus. Wenn ich das müsste, kriegen wir ein Problem. Die Reisen sind aber nicht das große Problem, eher das Telefonieren. Man kommt da schnell einmal auf 100 Telefonate am Tag, das kostet viel Zeit."



Können Sie heute sagen, wo Sie morgen sein werden?

"Ja, das kann ich schon – aber unser Scouting-Team ist natürlich ständig auf Abruf. Sollte noch etwas passieren, was sehr aktuell ist – es gibt Gespräche mit Udinese über Jens Stryger Larsen – wissen wir, wen wir holen. Sein Ersatz ist bereits vorgescoutet, von daher ist das kein Problem. Eines ist klar: Wenn du einen Spieler verlierst, sollte mit dem nächsten alles klar sein. Das ist aber nicht immer so leicht – verhandlungstechnisch. Da hast du vielleicht einen Wunschersatz, aber der wartet auch nicht ewig. Es ist ein Tanz auf Messers Schneide."

Abgesehen von dieser einen Personalie – Sehen Sie ansonsten noch Handlungsbedarf im Kader?

"Das hängt vom Spiel am Donnerstag ab. Wenn wir das erfolgreich gestalten, sprich wir ziehen in die Gruppenphase der Europa League ein, gibt es unserer Meinung schon noch den Wunsch, tätig zu werden. Höchstwahrscheinlich wird das dann auch so sein, garantieren kann ich das aber nicht. Wir haben es hier mit Menschen zu tun, da gibt es immer Unbekannte. Aber es kommt auch auf die Anzahl der Spieler an. Wir haben in der Gruppenphase sechs Spiele mehr, die körperliche und mentale Anforderung ist da natürlich um ein Vielfaches höher."



Handelt es sich bei der einen Position, bei der Sie nachbessern wollen, um die des Innenverteidigers?

"Das ist eine Überlegung – aber es gibt auch andere. Es ist ja kein Geheimnis, dass wir mit Borkovic einen hochtalentierten Verteidiger auf der halblinken Verteidiger-Position haben. Nur ist es bei 'Borko' so, dass er sein Maturajahr hat. Wir haben im Verein die Philosophie, den Spielern die Schule und einen positiven Abschluss zu geben. Dem Spieler zu sagen 'Vergiss die Schule', das wollen wir nicht. Wir haben jetzt Westermann, Kadiri und eben Borkovic – wenn sich da einer verletzt, wäre das zu riskant im Hinblick auf unsere Ziele."



Auch wenn es im ersten Moment weit hergeholt wirkt – aber spüren auch Sie die Nachwehen des Neymar-Transfers? Sind Spieler jetzt noch teurer geworden?

"Das könnte man spüren, wenn man mit diesen Ländern Kontakt hat. Zum Beispiel mit einem Klub wie Manchester City. Was wir bei Kayode letztendlich erreicht haben, war höher als alle vorherigen Angebote. Jetzt keine 200 Millionen, aber doch zirka 25 Prozent mehr. Die vorigen Angebote kamen auch aus Top-Ländern wie Frankreich oder Spanien. Aber dann kommt ein englischer Klub und man ist gleich am Ziel. Darum hat es auch nicht lange gedauert."



Im Vergleich zum Vorjahr wirkt der Austria-Kader aber doch sehr geschwächt. Kayode weg, Filipovic auch, Grünwald fällt jetzt lange Zeit aus, genauso wie die ebenfalls langfristig verletzten Almer und Venuto. Ihr Trainer Thorsten Fink hat am Wochenende gesagt, dass diese Mannschaft so nicht Meister werden kann. Stimmen Sie ihm zu?

"Ob ich dem Trainer hierbei zustimme oder nicht, darüber tauschen wir uns intern aus. Tatsache ist aber, dass der Meistertitel kein offizielles Ziel des Klubs war. Aber jeder, der selbst Sport treibt, hat seine Visionen. Wenn wir nicht die Vision hätten, Erster zu sein, wären wir auch schlecht beraten. Es gibt klar gelegte Ziele des Klubs, die wollen wir erreichen, da haben wir auch die Möglichkeiten dazu, diese zu erreichen. Aber ich möchte keinem Spieler, keinem Trainer und auch nicht mir selbst die Visionen nehmen. Wie schnell das gehen kann, wenn man raus posaunt, heuer wird's, wir wollen Meister werden, dann sind wir Champions League und dann gelingt es nicht – das kann schnell nach hinten losgehen. Natürlich sind wir aber so selbstbewusst und sagen: Wenn wir nächstes Jahr Anfang April, zwei oder drei Punkte hinter dem Ersten sind, sagen wir schon: 'So, jetzt geben wir auch die letzten fünf Runden Vollgas und wollen Meister werden.' Aber hätten wir das am Saisonanfang gemacht, wäre bereits alles in Frage gestellt worden. Aber so haben wir jetzt drei Spiele in Folge gewonnen. Ein altes Sprichwort sagt: 'Für Siege gibt es keinen Ersatz'. Und das stimmt wirklich, das ist dann eine Kopfsache."



Man hört immer wieder, dass sich der Spitzensport im Kopf entscheidet. Stimmt das?

"Ich glaube, das ist positionsbezogen. Es gibt Positionen im Fußball, eine habe ich ein paar Jahre lang bekleidet, da ist es besser, wenn man in den entscheidenden Sekunden nicht zu viel nachdenkt. Das Denken auszuschalten ist das wahre Geheimnis. Es gibt Torhüter, die halten unglaubliche Bälle aus kurzer Distanz. Aber wenn der Ball aus 25 Meter kommt, lassen sie aus. Da hat man dann Zeit zum Nachdenken. Da sind ja Dramen, die sich in kürzester Zeit im Kopf abspielen. Da muss man wahrscheinlich eine Zeit lang als Torhüter gespielt haben, um das zu verstehen."



Das heißt: Sie suchen als Sportdirektor mündige, intelligente Spieler, die bei Bedarf aber ihren Kopf ausschalten können…

"Das eine schließt das andere ja nicht aus. Mündige, intelligente Spieler – das klingt ja wunderbar. In Wirklichkeit brauchen sie aber einen guten Charakter. Ob sie mir den Satz des Pythagoras erklären können, ist nicht entscheidend. Ich brauche Charakter, ich brauche Teamplayer, Spieler, die sich einordnen, aber nicht unterordnen. Und dann gibt es die Alphatypen, die dominanten, die sehr nach außen orientiert sind. So wie natürlich die Ruhigen, die Introvertierten."



Die Mischung macht es aus, oder?

"Ja. Ich brauche Führungsspieler, ich brauche diese Alphatypen, ohne die haben wir in der Führung ein Problem. Dann gibt es auf dem Spielfeld eine heikle Situation und einer fragt den anderen: 'Was machen wir jetzt?' Deshalb braucht es auch 'Gstandene'. Im Fußball geht es auch um andere Sachen – der kommt halt nicht von der Uni, das muss man auch so sehen."



Ist die Austria mittlerweile die klare Nummer eins von Wien?

"Das sage ich nicht. Wir sind Austria, mein Arbeitsauftrag ist alles zu tun, um für Austria Wien da zu sein. Und da ist es nicht relevant für mich, was ein anderer Verein macht. Das betone ich immer wieder. Ich habe größten Respekt vor Rapid Wien, aber ich vergleiche nichts. Zum Schluss wollen wir aber vorne stehen – da bin ich dann schon egoistisch. Da denke ich dann nur an unseren Verein."



Ihr Klub wirbt aktuell mit einer Plakatkampgane, in der er den Titel des Rekordmeisters für sich beansprucht. Ist die Austria in Ihren Augen wirklich Österreichs Rekordmeister oder ist das nur ein Marketing-Gag?

"Jetzt wird der Leser in der U-Bahn genau abwarten: 'Was sagt er jetzt?' Ein gescheiter Historiker hat in einem Interview nun gesagt, dass eigentlich beide Recht haben. Ich halte ein Unentschieden in diesem Bereich für machbar. Sind wir uns ehrlich: Solche Reibereien gehören dazu. Und so macht sich die Austria jetzt auch einmal öffentlich bemerkbar. Tatsache ist, dass aber ab 1911 nicht nur in Wien Fußball gespielt wurde. Es hat auch die Kärntner oder die Tiroler Meisterschaften gegeben, überall so mit sechs Vereinen. Wobei ja auch gemeint wird, dass die Mannschaften aus den Bundesländern im Durchschnitt qualitativ etwas abgefallen sind."



Bei ihrer Bestellung im Jänner 2015 hagelte es jede Menge Kritik. Der Tenor war, dass sie keinerlei Erfahrung als Sportdirektor hätten, dass ihre Bestellung ein typischer Fall von 'Freunderlwirtschaft' sei. Heute sind diese Kritiker verstummt - verspüren Sie Genugtuung?

"Nein, die verspüre ich nicht. Man kann es halt nicht jedem Recht machen. Das ist ja personenunabhängig – wäre es nicht ich gewesen, hätte es einen anderen getroffen. Wenn der nicht aus dem Fußball gekommen wäre, sondern vielleicht ein Unternehmer gewesen wäre, hätten sich die Fußball-Anhänger gefragt, wie er das eigentlich machen soll. Die Bedürfnisse der Menschen sind so unterschiedlich – was ja auch sehr gut ist – dass man es nicht jedem Recht machen kann. Wenn wir jetzt den Kayode verkaufen, sagen die einen super, die anderen 'dumm gelaufen', jetzt brauchen wir einen neuen Stürmer. Als unerfahren habe ich mich vor zweieinhalb Jahren aber nicht gesehen. Ich war in den meisten meiner Mannschaften der Sprecher des Teams, ohne Kapitän zu sein. Die Insider wissen so etwas – aber es gibt halt Menschen, die mich nicht kennen. Ein anderes Beispiel: Bei der WM 1998 war ich der zweite Torhüter, ich habe nicht gespielt – die Prämien habe aber ich ausgehandelt. Es gab zwei Kapitäne, die hießen Polster und Herzog, die haben gesagt: 'Bitte Franz, mach du das, du kannst das.' Also bin ich fünfmal von Stuttgart reingeflogen und habe über die Prämien verhandelt. Ich habe Erfahrung im wirtschaftlichen Bereich. Ich habe 1991 mein erstes Unternehmen gegründet, das habe ich dann 1998 um gutes Geld verkauft. Ich habe schon etwas gelernt nebenbei."



Wie wichtig ist für die Austria die Qualifikation für die Gruppenphase der Europa League?

"Sehr wichtig – für alle. Abgesehen vom wirtschaftlich Erfolg. Jeder Wert eines Spielers steigt. Zum Beispiel letztes Jahr in Rom beim 3:3. Holzhauser macht das Tor und schon steigt sein Wert. Auch seine Position innerhalb des Vereins ist gestiegen."



Raphael Holzhauser ist zuletzt ein Gesicht der Austria nach außen geworden…

"… er war mein erster Transfer. Wenn ich vergleiche, um welche Summe wir ihn geholt haben und welchen Wert er heute laut Transfermarkt hat, so hat sich sein Wert verzwanzigfacht."