Gesundheit

Doping im Alltag – So viele sind medikamentenabhängig

Geschätzte 150.000 Österreicher sind arzneimittelsüchtig, die Dunkelziffer ist höher. Schmerz,- Beruhigungs- und Aufputschmittel sind weit verbreitet. 

17.06.2022, 20:35
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Für viele sind Tabletten ein täglicher Begleiter.
Getty Images/iStockphoto

Die psychische Belastung während der Corona-Pandemie hat die Medikamenten-Einnahme in die Höhe getrieben. Das ist das Ergebnis einer vom Anton Proksch-Institut Wien in Auftrag gegebenen Erhebung. Geschätzte 150.000 Österreicher sind arzneimittelabhängig. Aufgrund der vermutlich sehr hohen Dunkelziffer liegt die tatsächliche Zahl aber wesentlich höher, Schätzungen gehen von bis zu 300.000 Personen aus. "Eine genaue Angabe ist deshalb schwer möglich, da die Medikamentenabhängigkeit, wie keine andere Suchterkrankung, im Verborgenen stattfindet und die Betroffenen sehr lange sozial unauffällig bleiben", so Prim. Dr. Wolfgang Preinsperger, Ärztlicher Direktor am Anton Proksch Institut, eine der führenden Suchtkliniken Europas.

Im ersten Teil der Studie erfolgte die Befragung der Stichprobe von 1.000 Personen telefonisch durch Gallup Österreich. In einer Zusatzerhebung im Oktober 2021 wurden per Onlinebefragung speziell die pandemiebedingten Konsum- und Alltagsdopingtrends beleuchtet. Alltagsdoping umfasst den obligatorischen Morgenkaffee, die Zigarette vor der Arbeit, den Espresso in der Nachmittagspause oder auch das Gläschen Wein abends zum Entspannen auf der Couch. Doch auch Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel werden gezielt zur Beeinflussung der Psyche und zur Leistungssteigerung bei Gesunden eingenommen.

COVID: Psychische Belastung feuert Medikamentengebrauch deutlich an

Die Belastungen der Bevölkerung durch die COVID-19-Pandemie erwies sich im Oktober 2021 als nach wie vor erheblich. Beinahe ein Drittel der Befragten (26 Prozent) fühlte sich psychisch belastet. 19 Prozent gaben an, körperlich belastet zu sein. Die finanzielle Belastung (22 Prozent) befand sich ebenfalls auf hohem Niveau. Generell gaben Frauen eine höhere psychische Belastung an als Männer. Vor diesem Hintergrund wurde das Konsumverhalten für Beruhigungs- und/oder Schlafmittel, Schmerzmittel bzw. Aufputschmittel erhoben, um den Einfluss der durch die Pandemie hervorgerufenen psychischen Belastungsfaktoren auf den Medikamentenkonsum zu beleuchten.

"Betrachtet man jene Personengruppe, die angegeben hat, sich durch die COVID-19-Pandemie psychisch belastet zu fühlen, so zeigt sich eine signifikant stärkere Zunahme des Schmerzmittelgebrauchs. Psychisch Belastete nehmen etwa doppelt so häufig Schmerzmittel ein, als jene, die sich selbst nicht als psychisch belastet erleben. Ein ähnliches Ergebnis zeigt sich bei Beruhigungs- bzw. Schlafmitteln. Aufputschmittel werden von psychisch Belasteten sogar etwa drei bis vier Mal häufiger eingenommen als von Unbelasteten", so Preinsperger. 

    Erstmals gibt es auch für nicht-stationäre Risikopatienten Corona-Medikamente. Etwa die "virentötende" Tablette Molnupiravir, die Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) heute präsentierte.
    Denise Auer

    Unregelmäßige Arbeitszeiten fördern Einnahme von Beruhigungsmitteln

    16 Prozent der Befragten gaben an, während der Pandemie mindestens einmal Benzodiazepine, also Medikamente, die als Schlaf- oder Beruhigungsmittel eingesetzt werden, eingenommen zu haben. Hier ist ein deutliches Plus zu verzeichnen: Bei 48 Prozent von Personen, die Beruhigungsmittel einnehmen, kam es zu einer Zunahme, nur bei 7 Prozent dagegen zu einer Abnahme. Am häufigsten ist die Einnahme unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 30 Jahre.

    Auffällig: Personen mit häufig wechselnden Arbeitszeiten geben fast doppelt so häufig an, Benzodiazepine einzunehmen, als jene mit regelmäßigen (65 Prozent gegenüber 38 Prozent). Es ist davon auszugehen, dass in diesen Fällen Schlafstörungen mit Benzodiazepinen "behandelt" werden. Der kurzfristigen Linderung der Schlafprobleme stehen hier jedoch langfristig negative Auswirkungen wie Schlafstörungen und Abhängigkeit gegenüber.

    Schmerzmittel: Deutlich überhöhter Konsum bei Menschen mit Migrationserfahrung

    Knapp die Hälfte (45 Prozent) der österreichischen Allgemeinbevölkerung ab 16 hat mindestens einmal seit Pandemiebeginn Schmerzmittel eingenommen. Besonders jüngere Personen geben deutlich häufiger eine Schmerzmitteleinnahme an als ältere. Knapp ein Drittel der Schmerzmittelkonsumenten nimmt sie mehrmals pro Woche ein, Migranten der ersten Generation allerdings etwa doppelt so häufig, wie Personen ohne Migrationshintergrund bzw. in Österreich geborene Migranten der zweiten Generation. 

    Aufputschmittel besonders bei Jüngeren verbreitet

    Aufputschende Substanzen werden seit Beginn der Pandemie von 4 Prozent der Befragten eingenommen. Bei 38 Prozent der Aufputschmittel einnehmenden Personen kam es zu einer Zunahme, bei 24 Prozent zu einer Abnahme des Konsums. Aufputschende Substanzen zu sich zu nehmen, kommt bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 30 Jahre nahezu doppelt so häufig vor wie bei älteren Personen (9 Prozent).

    Koffein und Alkohol besonders weit verbreitet

    Nahezu jeder Österreicher konsumiert koffeinhaltige Getränke und Lebensmittel. 2019 haben 75 Prozent der Österreicher über 18 zumindest einmal Alkohol zu sich genommen. Knapp die Hälfte der Befragten nimmt Nahrungsergänzungsmittel ein. 41 Prozent der Befragten gaben an, im letzten Jahr Schmerzmittel zu sich genommen zu haben. 25 Prozent der Österreicher raucht zumindest gelegentlich, knapp 10 Prozent nahmen Beruhigungsmittel, 1 Prozent Aufputschmittel. Frauen setzen dabei bis auf Koffein alle Substanzen häufiger zur Steigerung von Leistung und Wohlbefinden ein, während Männer die genannten Substanzen stärker als Medikament gegen Belastungen benutzen.

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