Gesundheit

Kuscheln endete für Baby James tödlich 

Liebevolle Kuscheleinheiten führten auf tragische Weise zum Tod von Baby James, nachdem er ohne Immunsystem geboren wurde.

Sabine Primes
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Der kleine James starb fünf Tage vor seinem ersten Geburtstag.
Der kleine James starb fünf Tage vor seinem ersten Geburtstag.
Getty Images/iStockphoto

James wurde am 23. Februar 2016 mit einem gesunden Gewicht von 3,8 Kilogramm geboren und war nach außen ein ganz normales Baby. "Alle sagten, was für ein hübsches Baby er sei", sagt Mutter Susie Thorndyke. Dementsprechend war er das beliebteste Mitglied der britischen Familie und wurde von allen geherzt und gebusselt. Doch zwei Monate später erfuhr Susie, dass diese Streicheleinheiten dem kleinen Körper ihres Sohnes irreparable Schäden zugefügt hatten.

Der Grund: James hatte eine seltene genetische Erkrankung, die schwere kombinierte Immundefizienz (SCID). Er wurde praktisch ohne Immunsystem geboren, so dass schon die leichteste Erkältung tödlich sein kann. Wenn die Diagnose bei der Geburt gestellt wird, können Kinder mit SCID in Isolation gehalten werden, bis sie für eine Knochenmarktransplantation bereit sind, die ihnen ein neues, gesundes Immunsystem verleiht. Mit dieser Behandlung haben 90 Prozent der so genannten "Bubble Babies" ein normales, gesundes Leben, sagt Bobby Gaspar, Honorarprofessor für pädiatrische Immunologie am University College London. Aber eine Reihe von Fehldiagnosen und Verzögerungen führten dazu, dass die Diagnose für James leider zu spät kam. Weil er nicht sofort diagnostiziert wurde, machte jeder, der James sah, ihn noch kränker.

Der schwere kombinierte Immundefekt (severe combined immunodeficiency, SCID) ist durch wenige T-Zellen oder deren Fehlen und eine niedrige, hohe oder normale Anzahl von B-Zellen und natürlichen Killerzellen charakterisiert. Er gilt im Allgemeinen als der schwerwiegendste primäre Immundefekt. Bekannt sind derzeit mindestens 12 genetische Ursachen für einen SCID. Die Krankheit zeigt sich bereits in den ersten Lebensmonaten. Die betroffenen Kinder leiden unter ständigen Infektionen, insbesondere Mittelohrentzündung (Otitis media), Bronchitis, Lungenentzündung (Pneumonie), Pilzerkrankungen (Candidose), Durchfall (Diarrhö) und Verdauungsstörungen. Oftmals zeigen sich Wachstums- und Entwicklungsverzögerungen. Die weit verbreitete Anwendung von Antibiotika erschwert es den Ärzten einen SCID nachzuweisen. 
Für die Diagnose sind zwei Bluttests erforderlich. Der Erste ist ein großes Blutbild. Der zweite Test ermöglicht es dem Arzt, die Anzahl der Lymphozyten im Blut zu bestimmen. Wenn die Konzentration der Lymphozyten zu niedrig ist, werden zur Absicherung der Diagnose zusätzliche Tests ("T-cell receptor excision circle" (TREC)-Tests) durchgeführt, um so die Anzahl und Funktion der T-Zellen zu bestimmen, die charakteristischerweise bei jeder Form von SCID fehlen.
Ohne eine frühe Diagnose und unbehandelt verlaufen alle Formen der SCID für die Kinder tödlich. Wenn innerhalb der ersten drei Lebensmonate eine Knochenmarktransplantation durchgeführt wird, liegt die Erfolgsrate bei 94 Prozent. 

Die ersten Symptome

James war fünf Wochen alt, als die ersten Anzeichen seiner gesundheitlichen Probleme auftraten: Er bekam eine Erkältung, dann Husten nach einer Routineimpfung und seine Atmung wurde schnell. Die Mutter ging mit ihm mehrmals zum Hausarzt, und als sich James' Zustand verschlechterte, brachte sie ihn ins Krankenhaus. James wurde mit Antibiotika behandelt und erholte sich, doch dann verschlechterte sich sein Zustand wieder. Tests zeigten, dass der Sauerstoffgehalt in seinem Blut nur 47 Prozent betrug (er hätte über 95 liegen müssen). James bekam einen Krampfanfall und wurde ins Addenbrooke's Hospital in Cambridge gebracht, wo die Diagnose SCID gestellt wurde. Anschließend wurde er in das Great Ormond Street Hospital in London verlegt. "Die ganze Sache war surreal", erinnert sich Susie. "Innerhalb einer Woche wurde mir gesagt, mein Sohn habe eine normale Bronchitis, und dann erfuhr ich, dass er jetzt sterben könnte." James hatte sich mit dem Zytomegalievirus angesteckt. Bei den meisten Menschen verursacht dieses Virus nur geringfügige, erkältungsähnliche Symptome, aber da James kein Immunsystem hatte, um es abzuwehren, war es verheerend und er starb noch vor seinem ersten Geburtstag.

Dabei hätte James' Tod leicht verhindert werden können, denn es gibt einen Test für knapp drei Euro, mit dem man diese Krankheit feststellen kann. Diese Erkenntnis lässt die Eltern noch mehr verzweifeln. In 15 Ländern wird bei der Geburt auf SCID gescreent, aber das britische Screeningprogramm für Neugeborene umfasst es nicht. Das Screening des britischen national health service (NHS) umfasst einen Bluttest an der Ferse, der fünf Tage nach der Geburt durchgeführt wird, und sucht nach neun genetischen Erkrankungen (Sichelzellenanämie, Mukoviszidose, angeborene Schilddrüsenunterfunktion und sechs Stoffwechselkrankheiten). In anderen Ländern wird auf bis zu 59 Krankheiten untersucht.

Im Einsatz für die Kleinsten

Seit dem Tod ihres Sohnes haben sich Susie und Justin zusammen mit anderen Familien und Ärzten für Änderungen des NHS-Screeningprogramms für Neugeborene eingesetzt. Jedes Jahr werden im Vereinigten Königreich etwa 20 Babys mit SCID geboren, und bei etwa der Hälfte von ihnen wird die Diagnose erst gestellt, wenn es zu spät ist. Mit einem erweiterten Neugeborenentest könnten viele von ihnen früher erkannt werden. 

Obwohl diese Technologie das Neugeborenenscreening revolutionieren könnte, soll die Pilotstudie, die mindestens zwei Jahre dauern wird, nicht vor 2023 beginnen – und selbst wenn die Ergebnisse positiv ausfallen, könnte es nach Einschätzung von Professor Gaspar noch zehn Jahre dauern, bis die Technologie im NHS eingeführt wird. 

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