Im größten Korruptionsprozess der Zweiten Republik rund um die Privatisierung von 60.000 Bundeswohnungen (Buwog) im Jahr 2004 unter dem damaligen Finanzminister Karl-Heinz Grasser wurde dieser am 4. Dezember 2020 am Wiener Landesgericht in erster Instanz unter anderem wegen Untreue zu acht Jahren Haft verurteilt. Das Urteil ist bis heute nicht rechtskräftig, denn Grasser wie auch der Mitangeklagte, der Lobbyist und frühere Grasser-Intimus Walter Meischberger, haben Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil eingelegt.
Gut vier Jahre nach der Urteilsverkündung hat Grasser die Haft aber nach wie vor nicht angetreten oder wurde das Urteil aufgehoben – denn über die Berufungen wurde nach wie vor nicht verhandelt.
Jetzt steht die Entscheidung über das Urteil aber bevor. Ab 20. März behandelt der Oberste Gerichtshof (OGH) die Causa in einem mehrtägigen öffentlichen Verfahren. Vier Termine sind bis 25. März angesetzt.
Ob alle vier Termine tatsächlich benötigt werden, ist offen. Wie OGH-Sprecher Frederick Lendl auf APA-Anfrage mitteilte, wurde der Saal im Justizpalast vorsorglich für vier Tage reserviert, "um ein zeitliches Polster zu haben".
Es werden jedenfalls Schicksalstage für den ehemaligen Finanzminister Grasser. Neue Beweisaufnahmen sind keine vorgesehen. Die Berichterstatterin des Fünf-Richterinnen-Senats wird zunächst den bisherigen Verfahrensgang skizzieren, was einige Zeit in Anspruch nehmen dürfte. Denn es war ein wahrer Marathon-Prozess.
Zur Erinnerung: In der Causa Buwog wurde sieben Jahre ermittelt, bevor der Prozess gegen Grasser und weitere Angeklagte am 12. Dezember 2017 am Straflandesgericht Wien begann. 168 Tage wurde verhandelt. Für die Verlesung des Urteils brauchte Richterin Marion Hohenecker (sie hat übrigens inzwischen den Job gewechselt, arbeitet für die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft) dann am 4. Dezember 2020 gut zweieinhalb Stunden. Bis das schriftliche Urteil vorlag – es umfasst 1.280 Seiten – dauerte es dann ein gutes weiteres Jahr, bis Ende Jänner 2022. Die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung brachten Grasser und seine Anwälte Mitte Februar 2023 ein.
Im Anschluss an den Bericht über den Verfahrensverlauf werden die Verteidiger ihre Rechtsmittel vortragen, die sie gegen die 2020 verhängten Haftstrafen eingereicht hatten. Danach kommt die Vertretung der Generalprokuratur zu Wort, ehe die Angeklagten Gelegenheit haben, allfällige Schlussworte an den Senat zu richten.
Worum es geht: Bei der Buwog-Privatisierung unter Ex-Finanzminister Grasser soll es illegale Absprachen und verdeckte Provisionszahlungen in Höhe von insgesamt 9,6 Millionen Euro gegeben haben – ein Teil davon soll Grasser kassiert haben. Neben der Buwog-Causa wurden im Prozess auch mutmaßliche Provisionszahlungen bei der Einmietung des Finanzministeriums im Linzer Terminal Tower behandelt – auch hier habe Grasser mitgeschnitten. Grasser bestritt die Vorwürfe stets, es gilt die Unschuldsvermutung.
Die Verurteilung durch den Schöffensenat bezeichnete Grasser damals als "glattes Fehlurteil" und "politisches Urteil". Die Anwälte von Grasser und Meischberger hatten bereits anlässlich der Urteilsverkündung 2020 angekündigt, wegen der langen Verfahrensdauer vor den Europäischen Gerichtshof zu gehen.
Eine wichtige Rolle in der Causa Grasser nimmt die Generalprokuratur, also die oberste Staatsanwaltschaft der Republik, ein. Sie berät den OGH und hat ihre Empfehlung bereits im Mai 2024 abgegeben. Gemäß ihrer Rechtsansicht würden die Urteile im Falle des Untreuevorwurfs halten. Verpflichtet ist der OGH freilich nicht, sich an die Empfehlung zu halten.
Lehnt der OGH die Beschwerde Ende März ab, wird Grasser wohl die Aufforderung zum Haftantritt bekommen. Folgt das Oberste Gericht hingegen der Berufung, könnte es sein, dass der Prozess ganz oder teilweise wiederholt werden muss.