Tote Zivilisten bei Angriffen auf mutmaßliche Drogenboote, sanktionierte Präsidenten und Zölle in Rekordhöhe: US-Präsident Donald Trump übt Druck aus auf Mittel- und Südamerika. Zuletzt drohte er Kolumbien mit Angriffen, da er das Land als Komplizen der Kartelle im Kokainhandel sieht. Für viele ihrer Entscheidungen in der Region führt die US-Regierung den "War on Drugs" als Begründung ins Feld. Doch Mitglieder der Regierung, Befürworter seiner Politik und Kritiker sehen weitere Hintergründe für Trumps aggressive Mittel- und Südamerika-Politik.
Politikwissenschaftler Urs Vögeli schätzt die möglichen Motive ein. Und er zeigt auf, wohin das Ganze führen könnte.
Den Krieg gegen die Drogen sieht Vögeli eher als Verkaufsargument gegenüber der eigenen Partei und deren Basis. Damit wolle er aber nicht abtun, dass es sich um ein reales Problem handle. "Die Drogenflüsse in die USA sind auf jeden Fall ein gefühltes Problem, das aber nicht unbedingt mit Venezuela zu tun hat." Entsprechend spielten sie auch eine Rolle bei Trumps Vorgehen. Er nehme das Problem auf und könne mit seinem militärischen Vorgehen zeigen, dass er etwas mache. Dazu lasse sich gegen die Bekämpfung von Drogen generell schlecht argumentieren.
Eng mit dem Krieg gegen die Drogen verbunden ist die Bekämpfung der Immigration. Gemäß Vögeli falle dieser Aspekt auch in die gleiche Kategorie wie der "War on Drugs". "Wir nennen das Popular Politics. Maßnahmen gegen ein gefühltes Problem, das sich gut verkaufen lässt." Allerdings spiele die Immigration bei Trumps Vorgehen eine kleinere Rolle, da dabei hauptsächlich Mexiko das Ziel von Maßnahmen wäre.
Bei beiden Aspekten ist es gemäß Vögeli aber unklar, ob er damit weit über seine Partei oder gar Basis ein Bedürfnis erfüllen könne. "Trumps Umfragewerte sehen nicht so rosig aus, aber das wahre Stimmungsbild werden wir frühestens bei den Midterms sehen."
Der venezolanische Präsident Nicolás Maduro sieht das wahre Ziel von Trumps Vorgehen in den Ölreserven seines Landes. Doch auch etwa Maria Salazar, republikanische Abgeordnete aus Florida, sagte gegenüber Fox News: "Venezuela wird für die amerikanischen Ölkonzerne ein gefundenes Fressen sein."
Auch Vögeli sagt, dass die Rohstoffe auf jeden Fall eine Rolle spielen. Allerdings sei dies weniger kalkuliert, als hier dargestellt werde. Das heißt: Die Möglichkeit, dass US-Firmen von den Ölreserven profitieren könnten, treibt die Entscheidung zu Maßnahmen zwar an – aber nicht als Haupttreiber mit einem festen Ziel. Neben dem direkten Profit spiele zudem eine Rolle, dass Trump möglicherweise die Balance und das Zusammenspiel in der Opec+ stören möchte. Zudem sei auch zu erwähnen, dass Venezuela sich in einem territorialen Streit mit Guyana befinde, bei dem es auch um Rohstoffe gehe und Venezuela "durchaus als Aggressor gesehen wird".
Ähnlich wie bei den Opec-Staaten sind auch die Brics-Staaten den USA ein Dorn im Auge, wie Vögeli erklärt. "Die USA haben das Gefühl, dass sie ihren Hinterhof in den letzten Jahren vernachlässigt haben." Dadurch hätten sich China und weitere Staaten Einfluss verschaffen können in Südamerika. In den USA gebe es deswegen nun die starke Tendenz, dass man sich wieder darauf konzentrieren und dafür aus der Funktion als Weltpolizist zurückziehen müsse. "Dies wird offenbar auch in einem neuen, bisher noch nicht veröffentlichten Strategiepapier der Amerikaner deutlich, das zeigt, dass man sich mehr um die näheren Einflusssphären kümmern will."
In Venezuela, dem aktuell wohl heißesten Herd, sieht Vögeli wenig Aussichten auf eine tatsächliche großangelegte Invasion. "Trump testet aus, wie weit er gehen kann. Aber gleichzeitig ist er auch gut im Inszenieren. Er weiß, was er machen muss, damit wir darüber reden." Entsprechend kann sich Vögeli gut vorstellen, dass Trump das Thema Venezuela in einigen Wochen mit einem offenen Ende abschließt und zum nächsten dramaturgischen Handlungsbogen übergeht. "Jede Provokation birgt aber das Risiko einer Eskalation."
Schwerwiegender sieht Vögeli die langfristigen Folgen. "Trump spielt der Erzählweise des globalen Südens in die Hände, in der die USA und der Westen als Unterdrücker gesehen werden." Dadurch könnten Staaten wie Russland und China an Einfluss gewinnen. Und: "Diese Länder vergessen nicht, wie mit ihnen umgegangen wird, und könnten sich in Zukunft rächen." Vögeli zieht einen bewusst gewagten Vergleich: "Wenn die USA einen Flugzeugträger in die Karibik schicken und Staaten angreifen, wird es für den Westen schwer, sich zu beschweren, wenn China das im Südchinesischen Meer machen würde."