Ein tragischer Fall in Istanbul erschüttert aktuell die Türkei und Deutschland: Die vierköpfige Hamburger Familie B., die in einem Hotel in der Altstadt übernachtete, ist nach einer mutmaßlichen Insektizid-Vergiftung verstorben. Recherchen der türkischen Justiz und Medien zeichnen ein Bild aus Gesetzesverstößen, Schlamperei und strukturellen Problemen.
Servet B. wollte mitten in der Nacht seine Frau und die zwei Kinder ins Krankenhaus bringen. Allen war übel, eines der Kinder war bereits ohnmächtig. Der Krankenwagen stand schon vor der Tür - doch die Familie kam nicht aus dem Hotel.
Der Rezeptionist hatte die Eingangstür verschlossen, weil er zum Essen gegangen war und während seiner Abwesenheit Diebstähle verhindern wollte. Das sagte er später der Polizei.
Sicherheitsaufnahmen zeigen, wie Servet B. verzweifelt versuchte, die Tür aufzubrechen und Fenster einzuschlagen. Von außen halfen Sanitäter und Passanten - ohne Erfolg. Erst als der Rezeptionist zurückkehrte, konnte die Familie ins Krankenhaus gebracht werden.
Für die Mutter und die beiden Kinder kam jede Hilfe zu spät. Sie starben vermutlich an einer Vergiftung durch ein Insektizid, das im Hotel versprüht worden war. Wenige Tage später verstarb auch Vater Servet B.
Wie Ermittlungen ergeben, wurde im Zimmer 101 des Hotels ein hochgefährliches Ungeziefermittel eingesetzt. Die Dämpfe stiegen offenbar in das darüberliegende Zimmer 201 auf - das Zimmer der Familie. Türkische Medien sprechen inzwischen vom "Todeszimmer".
Eine Putzfrau berichtete laut der Zeitung "Karar", sie habe im unteren Zimmer zehn bis zwölf leere Insektizid-Packungen gefunden. Im Zimmer der Familie lagen Tüten mit Erbrochenem.
Die eingesetzte Kammerjäger-Firma arbeitete ohne gültige Lizenz. Weder der Inhaber noch der Mitarbeiter, der das Gift versprühte, waren dafür zertifiziert. Der Firmenchef schob laut CNN-Türk die Verantwortung auf seinen Angestellten.
Das Gebäude soll laut Aussagen in türkischen Medien 60 bis 70 Jahre alt sein und seit Langem unter massivem Ungezieferbefall leiden. Die Journalistin Nevsi Mengü zitierte einen Zuschauer, der in dem Haus aufgewachsen sei. Schon früher seien dort regelmäßig Chemikalien versprüht worden - wie in vielen Hotels der Altstadt.
Vergiftungen durch unsachgemäßen Einsatz hochgiftiger Mittel kommen in der Türkei immer wieder vor. Erst vor einem Jahr starb die deutsche Studentin Marlene B. in Istanbul durch Bettwanzen-Gift. Auch in Ankara und Eskisehir gab es vergleichbare Todesfälle.
Aus Sorge um den Tourismus - mehr als 60 Millionen Besucher pro Jahr - reagierten die Behörden nun mit schärferen Maßnahmen.
Der Gouverneur von Istanbul ordnete Kontrollen aller Kammerjägerbetriebe an. Gastronomiebetriebe müssen künftig rund um die Uhr Videoüberwachung haben und Essensproben 72 Stunden aufbewahren.
Fachleute fragen, warum weder Kammerjäger noch Hotels bislang streng kontrolliert wurden. Das im Hotel verwendete Mittel hätte nur von zertifizierten Fachleuten eingesetzt werden dürfen, so die türkische Ärztekammer.
Der ehemalige Tourismusminister Bahattin Yücel sieht tiefer liegende Ursachen: Viele Betriebe arbeiteten ohne behördliche Registrierung. Zudem fehle dem Tourismusministerium Personal, seit den Stadtverwaltungen die Kontrollbefugnisse entzogen wurden.