1.950 Euro

Bub fast gestorben – nur Geldbuße für Unfall-Lenkerin

Eine Wienerin verursachte einen Unfall – ein Bub wurde lebensgefährlich verletzt. Die Lenkerin wurde nicht angeklagt, erhielt nur eine Geldbuße.
Christine Ziechert
17.11.2025, 07:00
Loading...
Angemeldet als Hier findest du deine letzten Kommentare
Alle Kommentare
Meine Kommentare
Sortieren nach:

Kommentare neu laden
Nach oben
Hör dir den Artikel an:
00:00 / 02:45
1X
BotTalk

Im Dezember 2022 änderte sich das Leben von Andrea M. (40, alle Namen geändert) schlagartig: "Die Lebensgefährtin meines Ex-Mannes verursachte einen schweren Verkehrsunfall, den mein damals zehnjähriger Sohn beinahe nicht überlebt hat", ist die 40-jährige Wienerin noch immer erschüttert.

Die Lebensgefährtin (mittlerweile Ex) ihres Ex-Mannes war mit ihrem eigenen Sohn (damals 8) und "Stiefsohn" Max (damals 10) auf einer Landstraße im Bezirk Gänserndorf (NÖ) mit mindestens 75 km/h unterwegs – laut Polizei bei Nebel, Schnee und Eis: "Mein Sohn hat mir erzählt, dass sie immer wieder ins Schleudern geraten ist", berichtet Andrea M.

Unfall bei Nebel, Schnee und Eis

Als ihr auf der schmalen Landstraße mit etwa 40 km/h ein Klein-Lkw entgegenkam, geriet die 33-Jährige, die erst seit April 2022 den Führerschein besaß, erneut ins Schleudern und krachte frontal in das Fahrzeug. Die Lenkerin und Max wurden bei dem Unfall schwer verletzt – der 10-Jährige schwebte an der Unfallstelle in akuter Lebensgefahr.

"Die Fahrbahn war schneebedeckt, das Eis darunter habe ich aber erst auf den Fotos nach dem Unfall gesehen. Ich war auf der Geraden, kann jedoch nicht angeben, wie schnell ich unterwegs war. Jedenfalls nicht schnell, da die Fahrbahn schneebedeckt war. Dann kam ein Fahrzeug entgegen und ich bremste leicht. Plötzlich und für mich völlig unverständlich, rutschte mein Fahrzeug nach links auf die Gegenfahrbahn und dann weiß ich nichts mehr", sagte die 33-Jährige bei der Polizei aus.

Max (10) wurde schwer verletzt

Der Lkw-Fahrer widerspricht dieser Aussage: "Es ist mir ein Fahrzeug mit sehr hoher Geschwindigkeit, ca. 80 km/h, entgegengekommen. Plötzlich ist dieses ins Schleudern geraten. Ich habe versucht, nach rechts auszulenken, konnte jedoch einen Frontalzusammenstoß nicht verhindern." Dass die 33-Jährige mit hoher Geschwindigkeit unterwegs war, bestätigt auch die Tachonadel ihres Pkw, die bei 75 km/h steckenblieb.

Auf dieser Landstraße passierte der Unfall.
zVg

Max wurde bei dem Unfall so schwer verletzt, dass er bereits intubiert mit dem Rettungshubschrauber ins Spital geflogen werden musste: Der Zehnjährige erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, Brüche an der Schädelbasis, Dünndarm- und Leber-Risse, Schlüsselbein- und Rippenbrüche, Lungen- und Nierenprellungen, Blutungen im Kopf, eine Halswirbelsäule-Instabilität sowie einen Riss eines wichtigen stabilisierenden Bandes am Schädel-Hals-Übergang.

„Es herrschte akute Lebensgefahr. Man hat mir gesagt, dass er es vermutlich nicht überleben wird“
Andrea M.Mutter von Unfall-Opfer Max (10)

"Im Spital war Max stundenlang im Schockraum. Es herrschte akute Lebensgefahr. Man hat mir gesagt, dass er es vermutlich nicht überleben wird", erinnert sich Andrea M. Ihr Sohn wurde in ein künstliches Koma versetzt und auf der Intensivstation eine Woche lang künstlich beatmet. Am 10. Jänner 2023 wurde er schließlich – auch dank Physiotherapie – aus dem Krankenhaus entlassen. "Zu diesem Zeitpunkt war er noch ein Pflegefall", berichtet Andrea M.

Max wurde eine Woche lang in ein künstliches Koma versetzt.
zVg

Aufgrund der instabilen Halswirbelsäule musste Max 12 Wochen lang eine harte und weitere vier Wochen eine weiche Schanzkrawatte tragen: "Er trägt bis heute bleibende Schäden davon – darunter die Halswirbelsäulen-Instabilität, Epilepsie, Konzentrations- sowie Gedächtnisprobleme, und hat zudem eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickelt. Dies hätte verhindert werden können, wenn die Verursacherin die Geschwindigkeit an die Straßenverhältnisse angepasst hätte", so Andrea M.

Geldbuße für Unfall-Lenkerin

Das Ermittlungsverfahren gegen den Lkw-Fahrer wurde eingestellt. Die Unfall-Verursacherin erhielt wegen fahrlässiger Körperverletzung eine Diversion in der Höhe von 60 Tagessätzen à 30 Euro (1.800 Euro) plus 150 Euro Pauschalkosten: "Trotz dieser enormen Schwere der Verletzungen wurde das Strafverfahren von der Staatsanwaltschaft Korneuburg lediglich mit einer Diversion beendet – ohne Schuldeingeständnis, ohne Tatausgleich, ohne weitere Pflichten wie Verlängerung des Probeführerscheins, ohne gerichtliche Aufarbeitung und ohne, dass die Rechte meines Kindes als Opfer ausreichend berücksichtigt wurden", ist Andrea M. empört.

Die Unfall-Verursacherin musste nur 1.950 Euro Geldbuße zahlen.
Getty Images, zVg

Zudem kritisiert die 40-Jährige: "Als Mutter wurde ich über wesentliche Schritte wie etwa die Diversion nie informiert. Ermittlungen – etwa Gutachten, die Sicherstellung des Unfallfahrzeugs oder eine genaue Bewertung der Verletzungen – unterblieben vollständig. Außerdem verstehe ich auch nicht, warum es sich nur um fahrlässige und nicht um grobe fahrlässige Körperverletzung handelt."

„Ich will, dass dieser Fall überprüft wird und sich so etwas nie wiederholt“
Andrea M.hat eine Petition für Gerechtigkeit gestartet

Die Wienerin will den Ausgang des Verfahrens so nicht hinnehmen: "Ich habe inzwischen alle möglichen Instanzen durchlaufen – von der Staatsanwaltschaft über die Oberstaatsanwaltschaft bis hin zum Oberlandesgericht– ohne, dass jemand diese offensichtlichen Mängel aufgegriffen hat. Darum habe ich eine Petition gestartet, die bereits über 1.000 Menschen unterstützt haben."

Andrea M. geht es nicht um Geld oder Rache, "sondern darum, dass dieser Fall überprüft wird und sich so etwas nie wiederholt – dass Kinder, die lebensgefährlich verletzt wurden, nicht durch eine einfache Diversion aus dem Rechtssystem fallen. Während mein Kind seit drei Jahren mit schweren gesundheitlichen Problemen kämpft, lebt die Unfall-Verursacherin ihr Leben einfach weiter, als wäre nie etwas passiert."

Diversion laut Staatsanwaltschaft angemessen

"Heute" fragte auch bei der Staatsanwaltschaft Korneuburg nach, warum es in diesem Fall zu einer Diversion kam: "Letztlich war auch zu berücksichtigen, dass die Beschuldigte beim Unfall selbst beträchtlich verletzt wurde, was den Milderungsgrund begründet. Im konkreten Fall führte dies dazu, dass trotz der schweren Verletzungen eine Diversion geboten war, weil der Beschuldigten als Fehlverhalten lediglich die nicht angepasste Fahrgeschwindigkeit vorzuwerfen war", erklärt ein Sprecher. Die Anzahl der 60 Tagessätze à 30 Euro seien "im konkreten Fall tat- und schuldangemessen gewesen", heißt es.

Die Strafjustiz müsse immer die Rechte aller Beteiligten (Opfer wie Beschuldigte) gleichermaßen berücksichtigen und alle Straffälle möglichst objektiv, fair und losgelöst von allfälligen Rachegefühlen gleich behandeln, so der Sprecher. "Zudem wurden im Verlauf des konkreten Verfahrens auch das Landesgericht Korneuburg, das Oberlandesgericht Wien und die Oberstaatsanwaltschaft Wien mit diesem Fall befasst, welche letztlich alle zum selben Ergebnis wie die Staatsanwaltschaft Korneuburg kamen."

Erhöhte Fahrgeschwindigkeit keine grobe Fahrlässigkeit

Zur Frage, ob es sich hier um fahrlässige oder grob fahrlässige Körperverletzung handelt, meint der Sprecher: "Mag auch die von der Beschuldigten gewählte Fahrgeschwindigkeit angesichts der schneebedeckten Fahrbahn (laut Polizeibericht gab es Nebel, Schnee und Glatteis, Anm.) überhöht gewesen sein, so bewirkte diese für sich allein keine grobe Fahrlässigkeit und auch kein diversionsausschließendes schweres Verschulden. Dazu wären besondere schulderhöhende Umstände, zum Beispiel weit überhöhte Fahrgeschwindigkeit und unpassende Bereifung oder Alkoholisierung, notwendig gewesen, die hier nicht vorlagen."

Andrea M. ließ den Strafakt der Staatsanwaltschaft Korneuburg von Rechtsanwalt und Ex-Staatsanwalt Marc Julian Mayerhöfer von der Wiener Kanzlei Kindl prüfen: "Leider hat man den Eindruck, dass die Staatsanwaltschaft Korneuburg dieses Verfahren nur schnell erledigen wollte und an der umfassenden Klärung des Sachverhaltes nicht wirklich interessiert war. So wurde weder das schwer verletzte Opfer als Zeuge vernommen, noch wurde ein verkehrstechnisches Gutachten (zu den Witterungsverhältnissen und der diesbezüglichen Fahrgeschwindigkeit der Lenkerin) eingeholt. Beides hätte wohl einen wesentlichen Einfluss auf die rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes gehabt", erklärt Mayerhöfer auf "Heute"-Nachfrage.

Klage auf Schmerzengeld

Neben dem strafrechtlichen Aspekt gibt es aber auch den zivilrechtlichen: Andrea M. will nun mit Rechtsanwalt Johannes Wolf von der Kanzlei Widter Mayrhauser Wolf klagen: "Wir machen Schmerzensgeldansprüche für schwerste Verletzungen, auch im Bereich der Halswirbelsäule, geltend. Nach ärztlicher Auskunft ist das Überleben derartiger Verletzungen in der Fachliteratur nicht beschrieben, üblicherweise überlebt man derartige Verletzungen nicht. Vorprozessual war von der beklagten Haftpflichtversicherung ein Betrag angeboten worden, der um ein Vielfaches unter jenem Betrag liegt, der sich aus den schon bisher im Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten als berechtigt erweisen wird", meint Wolf zu "Heute". Das Verfahren sei aber aufgrund der multiplen Verletzungen äußerst aufwendig.

{title && {title} } cz, {title && {title} } Akt. 17.11.2025, 17:01, 17.11.2025, 07:00
Jetzt E-Paper lesen