Extremismusforscher warnt:

"Demokratie wird ausgehöhlt, nur Fassade bleibt intakt"

Der Erfolg von Rechtspopulisten wie AfD und FPÖ ist für Politologe Peter Neumann eine echte Gefahr für unsere liberale Demokratie. Das ist der Grund.
Newsdesk Heute
26.08.2025, 13:17
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Peter R. Neumann (50) blickt mit Sorge auf die politische Entwicklung in Europa. Der bekannte Terrorismusforscher hat sich in den vergangenen Jahren auch intensiv mit Populismus und Rechtsextremismus beschäftigt. "Das Sterben der Demokratie" ist für den Deutschen mehr als nur der Titel seines neuen Buches, es ist eine brandaktuelle Gefahr.

In der "Süddeutschen Zeitung" legt er nun die Bedrohungen für unsere liberalen Demokratien am Beispiel seiner deutschen Heimat offen. Dass dort eine Mehrheit der Bevölkerung bereits mit einer AfD-Regierung in einem Bundesland rechnet, bezeichnet Neumann als "besorgniserregend": "In Viktor Orbáns Ungarn oder in den USA unter Trump sieht man, wie Rechtspopulisten an der Regierung das demokratische System umbauen und liberale Freiheiten einschränken."

"Türöffner" Migrationspolitik

Rechte Parteien wie AfD, FPÖ und Fidesz würden alle geschickt die Unzufriedenheit mit der Migrationspolitik für ihre Zwecke ausnutzen: "Es gibt keine rechtspopulistische Partei, die ohne das Thema Migration erfolgreich gewesen wäre", sagt der Extremismusforscher.

So könne die AfD offenbar glaubhaft vermitteln, als einzige Partei eine Antwort darauf zu haben – auch wenn diese Antwort, null Migration, "illusorisch und rechtlich nicht möglich" ist. Trotzdem stoße das auf große Resonanz, weil viele Menschen das Gefühl hätten, dass die amtierenden Regierungen die Probleme nicht in den Griff bekommen würden.

Peter R. Neumann geht in diesem Punkt auch mit dem Rest des politischen Spektrums hart ins Gericht: "Wenn man reflexhaft jedes Unbehagen angesichts der ungesteuerten Zuwanderung als rassistisch diskreditiert, verhindert man nur, dass die demokratischen Parteien für dieses Problem eine rechtsstaatliche Lösung finden."

"Wir gegen die da oben"

Es ist ein schmerzhaftes Versagen, denn die Unzufriedenheit mit der Migrationspolitik ist demnach der Schlüssel, der "entscheidende Türöffner", zum Aufstieg der Rechtspopulisten: "Das verbindet sich mit anderen Themen, die [ihnen] in die Hände spielen, etwa Verteilungskonflikte, Identitätspolitik oder die Behauptung eines Niedergangs der Gesellschaft."

Peter R. Neumann ist Professor für Sicherheitsstudien am Londoner King’s College und anerkannter Terrorismus-Experte.
Anna Weise / SZ-Photo / picturedesk.com

Am Ende gehe es all diesen Parteien um die Schaffung von Feindbilder und einer Polarisierung der Gesellschaft: "Wir gegen die, Ausländer gegen Inländer, das 'echte' Volk – die eigenen Gesinnungsgenossen – gegen die 'liberalen Eliten'. Das ist das alte Feindbild von denen da oben", bringt es Neumann auf den Punkt. Offensichtlich verfängt dieses auch heute noch.

Er erklärt: "Kulturkämpfe sorgen für Polarisierung, die keine Differenzierung erlaubt. Entweder man ist in den Augen der Rechtspopulisten 'linksgrün-versifft', politisch korrekt und glaubt, dass es 67 Geschlechter gibt – oder man ist 'Deutschland normal' und wählt AfD. Dazwischen gibt es nichts." Das sei ideales Terrain zur Dämonisierung und Verhöhnung des politischen Gegners und genau die Polarisierung, von der die AfD profitiere.

Orbans "illiberale Demokratie"

"Mit diesem Narrativ wird dann argumentiert, dass alle Mechanismen, die die Macht der Exekutive beschränken und kontrollieren, nur dazu dienen, eine 'echte' Demokratie zu verhindern. Das gilt für die Medien, das Rechtssystem oder das Parlament", führt er weiter aus.

„Die Demokratie wird ausgehöhlt, aber die Fassade bleibt intakt.“
Peter R. Neumannüber Viktor Orbans Ungarn

Was passiert, wenn diese Parteien an die Macht kommen, kann man gerade in den USA live miterleben. Trumps großes Vorbild dabei: Viktor Orban. Dieser habe in Ungarn seit 15 Jahren sehr konsequent und gezielt an der Entmachtung dieser Institutionen gearbeitet.

Die Folge ist dramatisch. "Die Demokratie wird ausgehöhlt, aber die Fassade bleibt intakt". Das sei auch der Unterschied zwischen der "illiberalen Demokratie" Orbans und offenem Faschismus. "Bei Faschismus denkt man an Machtergreifung, Fackelmarsch durchs Brandenburger Tor, Massenverhaftungen, Staatsterror, die Demokratie ist von heute auf morgen vorbei. Genau das ist nicht der Plan, wenn man sich anschaut, was in Ungarn geschieht."

Der ungarische Langzeit-Premier und FPÖ-Verbündete habe die Institutionen des Landes Schritt für Schritt umgebaut und unter seine Kontrolle gebracht, jedoch nicht völlig aufgelöst. "Es gibt Gerichte, eine Opposition, das Parlament, Medien. Aber sie sind so geschwächt, dass es fast unmöglich wird, eine effektive Opposition und eine echte Kontrolle der Regierung zu organisieren."

„Eine 'illiberale Demokratie' ist eine Einladung zur Kleptokratie.“
Peter R. Neumannüber Viktor Orbans Ungarn

Korruption folgt

Die Vorstellung, dass eine populistische Regierung unmittelbar den Willen "des Volkes" umsetzen würde, ist laut Neumann ein Trugschluss: "Auch wenn es demokratisch klingt, ist das zutiefst undemokratisch." Ohne institutionellen Schutz von Minderheiten und der Freiheits- und Bürgerrechte aller Individuen könne sich der "Volkswille" gar nicht frei bilden, argumentiert der 50-Jährige.

Gleichzeitig werde das Land von der herrschenden Clique ausgenommen wie eine Weihnachtsgans: "Ungarn ist, was Korruption angeht, eines der schlimmsten Länder Europas. Eine 'illiberale Demokratie' ist eine Einladung zur Kleptokratie."

Die Frage der Brandmauer

Das zu verhindern, liege (noch) in der Macht der übrigen Parteien. Neumann, selbst CDU-Mitglied, pocht auf die Brandmauer: "Jede Kooperation mit der AfD wäre ein großer Fehler. Es gibt in Europa keine einzige christdemokratische oder Mitte-rechts-Partei, die von der Öffnung zu den Rechtspopulisten profitiert hätte – im Gegenteil". Beispiele gebe es genug: Italien, Frankreich, Niederlande...

„Diese Leute an die Macht zu lassen, wäre unverantwortlich, weil schädlich für die liberale Demokratie.“
Peter R. Neumannüber eine Koalition mit der AfD

Die dortigen Mitte-rechts-Parteien hätten durch ihre Annährung an rechts außen "nur verloren". Warum? "Wenn sie die Populisten und Rechtsextremen als Partner akzeptieren, normalisieren sie deren Positionen. Die Folge ist klar: Dann wählen die Leute lieber gleich das Original."

Der Terrorismusforscher hält die in Teilen gesichert rechtsextreme AfD für ein Sicherheitsrisiko und eine Bedrohung der Demokratie in Deutschland: "In dem Moment, wo sie, in welcher Konstellation auch immer, Regierungsämter besetzt, wird sie die Institutionen des demokratischen Rechtsstaats schwächen oder missbrauchen – mit den eben beschriebenen Folgen. Diese Leute an die Macht zu lassen, wäre unverantwortlich, weil schädlich für die liberale Demokratie."

"Leichter gesagt als getan"

Was also tun? Ein Patentrezept hat Neumann nicht zur Hand, wohl aber einige Handlungsempfehlungen. Er plädiert auf eine Entschärfung von Konflikten in der Gesellschaft. Dazu müsse endlich realisiert werden, dass der Erfolg der Populisten auf einem weit verbreiteten Gefühl des Kontrollverlustes in der Bevölkerung fuße.

"Demokratische Politik muss wieder ihre Handlungsfähigkeit beweisen und die Probleme wirklich angehen", schließt der Deutsche. Nachsatz: "Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan. Aber ich bin ich ja auch kein Politiker, sondern nur Wissenschaftler."

{title && {title} } red, {title && {title} } Akt. 26.08.2025, 15:35, 26.08.2025, 13:17
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