Nahost-Konflikt

Dramatische Flucht von Ausländern aus dem Gazastreifen

Ihre Flucht aus dem Gazastreifen bedeutet für viele Ausländer und Doppelbürger auch einen Abschied von der Familie.

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Dramatische Flucht von Ausländern aus dem Gazastreifen
Wer kann, verlässt den Gazastreifen.
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Während die israelische Bodenoffensive im Gazastreifen andauert, kommt die Evakuierung von Zivilisten nur langsam voran. Bislang sind es nur Doppelbürger und Ausländer, die dem Krieg über den Grenzübergang Rafah nach Ägypten entfliehen konnten.

Bevor sie ihre Reise in die Heimatländer fortsetzen, berichten die Geflüchteten in Kairo von den einschneidenden Erlebnissen während der Flucht – so etwa Youssef. Der alte Mann im Rollstuhl, der eine US-Staatsbürgerschaft hat, erzählt: "Wir sahen, wie das Nachbarhaus von Raketen getroffen wurde. Dann hat unser Haus Feuer gefangen – all unsere Sachen sind verbrannt." Nur knapp konnten sie aus dem Haus fliehen, verloren dabei aber all ihr Hab und Gut in der Feuersbrunst.

Elfjährige muss Vater zurücklassen

Die Flucht reißt auch ganze Familien auseinander, wie der Fall von Farah zeigt. Die Elfjährige aus den USA musste ihren Vater in Gaza zurücklassen. "Er küsste meine Stirn und sagte: 'Bring dich in Sicherheit.' Dann hat er mir gesagt, dass er mich liebt – und dass ich mich immer daran erinnern soll." Ob sie ihren Vater jemals wiedersehen wird, weiß Farah nicht.

Tausende weitere Zivilisten sitzen derweil nach wie vor im Gazastreifen fest. So auch Ahmed, der seit über 30 Jahren in Münster in Deutschland lebt. Um die Großmutter zu besuchen, reiste er in den Herbstferien mit dem Sohn in den Gazastreifen – jetzt kommen sie nicht mehr aus dem Kriegsgebiet weg. "Vom Auswärtigen Amt hieß es tagelang nur, dass ich 'mich zu gedulden' hätte und dass es keine weiteren Informationen gebe", sagt Ahmed gegenüber der "Tagesschau".

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    Das israelische Militär fliegt nun fast täglich Vergeltungsschläge auf den Gazastreifen.
    Das israelische Militär fliegt nun fast täglich Vergeltungsschläge auf den Gazastreifen.
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    "Nervenkrieg" mit deutschem auswärtigem Amt

    Irgendwann habe er eine SMS mit einer Evakuierungsankündigung bekommen, wenig später bereits wieder eine Absage, der Deutsche spricht von einem "Nervenkrieg". Als er einmal auf der Suche nach Brot war, sei ganz in der Nähe eine Bombe eingeschlagen. "Ich höre und spüre die Bombardierungen stetig. Und diese Schreie, das ist unglaublich."

    Und die Zeichen auf baldige Besserung der Evakuierung von Zivilisten stehen schlecht: Denn wie das "Wall Street Journal" am Sonntag schreibt, ist der Rafah-Grenzübergang vom Gazastreifen nach Ägypten seit dem frühen Montagmorgen wieder gesperrt. Zuvor hatte die israelische Armee am Freitag ein Krankenwagen angegriffen, in dem sich laut israelischen Angaben Terroristen befunden haben sollen.

    Grenzübergang wieder geschlossen

    Aufgrund dieses Angriffs haben die von den Hamas kontrollierten Behörden im Gazastreifen gegenüber Ägypten nun mitgeteilt, dass Ausländern die Ausreise aus dem Gazastreifen verwehrt werde, bis verwundeten Palästinensern eine sichere Passage bis zum Grenzübergang gewährleistet werde. Die von Katar vermittelte vorübergehende Öffnung der Grenze scheint damit vorerst gescheitert zu sein, Tausende Ausländer und Doppelbürger sitzen weiterhin im Gazastreifen fest.

    Im Gegensatz zu mehreren Hunderttausenden Palästinensern haben sie aber immerhin eine kleine Chance, aus dem Gazastreifen wegzukommen. Eine täglich publizierte Liste entscheidet, wer ausreisen darf – wer keine ausländische Staatsbürgerschaft hat, nicht für eine Hilfsorganisation arbeitet und nicht im Ausland arbeitet, hat so gut wie keine Chance. Derweil spitzt sich die Lage im dicht besiedelten Gebiet zu: Wie die UN-Koordinatorin Lynn Hastings am Sonntag gegenüber der "Zeit" berichtete, seien die Vorräte aufgebraucht, zudem existiere keine saubere Trinkwasserversorgung mehr.

    LKW-Hilfe ist Tropfen auf dem heißen Stein

    Seit dem 21. Oktober haben laut dem palästinensischen Roten Kreuz 451 LKW Hilfsgüter ins Kriegsgebiet gebracht, bei 16 Tagen seit Beginn der Lieferungen entspricht dies knapp 30 Lastwagen am Tag. Bald sollen pro Tag 100 LKW nach Gaza rollen – doch auch das reicht laut Hastings nicht mal ansatzweise.

    Denn vor dem 7. Oktober fuhren angesichts der seit Jahren bestehenden israelischen Blockade des Gebiets täglich 500 Lastwagen in den Gazastreifen. "Angesichts der Zerstörung geht der aktuelle Bedarf weit über das hinaus, was wir zuvor geleistet haben."

    Das sagen Israel und seine Verbündeten zur humanitären Lage
    US-Außenminister Antony Blinken forderte Israel am Wochenende auf, eine humanitäre Waffenruhe auszurufen. Er betonte, wie wichtig es ist, dass Israel alle möglichen Maßnahmen ergreift, um zivile Opfer zu vermeiden, und erklärte, dass der Schutz der Zivilbevölkerung die Hamas daran hindern würde, die Situation weiter auszunutzen. Unlängst beteuerte der israelische Premier Netanyahu, dass die Armee nach den höchsten Standards des Völkerrechts handeln würde – zuvor hatte ein rechtsextremer Minister im Radio erklärt, dass auch der Abwurf einer Atombombe über dem Gazastreifen für Israel eine Möglichkeit sei.

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