Balkan-Blog

Ein schwieriges Jahr für einen Balkaner in Österreich

Endlich ist 2020 um. Ein Jahr, das ja wirklich nicht viel Gutes gebracht hat. Und damit meine ich gar nicht nur die Pandemie.

David Slomo
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Frohes neues Jahr... hoffentlich.
Frohes neues Jahr... hoffentlich.
picturedesk/privat

Wir hatten ja im vergangenen Jahr so richtig viel vor. Ich zum Beispiel wollte viel verreisen, viele Konzerte besuchen, mir viele Filme ansehen. Uns allen wurde aber ab März ein gewaltiger Strich durch die Rechnung gemacht. Der Strich hielt dann auch bis Dezember an und wird auch in den kommenden Wochen noch sichtbar sein, ehe er dann hoffentlich allmählich verblasst.

Diese ganze Sache wurde aber ohnehin schon in unzähligen TV-Sendungen, Berichten und Artikeln verbraten. Das hier ist der "Balkan Blog" und deshalb schauen wir uns das Jahr aus der Sicht eines Balkaners an. Wie war das Jahr für uns Jugos? 

Der "Balkan Dream"

Naja, es hat eigentlich ziemlich positiv begonnen. Im Jänner war der Balkan plötzlich in der Regierung. Also nicht der ganze natürlich, aber endlich wurden wir im Parlament mit einem ić repräsentiert. Alma Zadić wurde zur Justizministerin ernannt. Ich freute mich, dass sie mich direkt ins Ministerium einlud. Ich zog - wie es sich gehört - meinen edelsten Jogger an und kaufte unterwegs noch Burek und Cockta. So macht man das eben bei uns. Das komplette Gespräch könnt ihr HIER nachlesen, aber was mir am meisten in Erinnerung blieb, war eine Anekdote, die Frau Zadić eigentlich nur nebenbei erwähnte: "Ich war 13 oder 14, mittlerweile war Wien mein Zuhause, ich habe mich bewegt wie in Tuzla. Ich war auf dem Weg in die Sporthalle, habe diesen aber nicht gleich gefunden und habe den Straßenbahnfahrer danach gefragt. Er hat mir geantwortet: 'Tschuschen haben hier überhaupt nichts verloren.' Das hat mich voll zurückgeworfen. Ich habe dann echt in der Straßenbahn geheult, weil es schwierig war, für mich zu akzeptieren, dass ich doch anders bin."

Mittlerweile hätten sich ja die Zeiten ja geändert. Zumindest für uns Balkaner. Wir sind ja heute die "guten Ausländer", die sich integriert haben. So zumindest die Vermutung. Denn dann kam Corona und zeigte tatsächlich, dass wir noch immer zu kämpfen haben.

Zweite Welle? Liegt am Balkan...

Denn mit dem Virus im Gepäck durften wir Balkaner nicht mehr im Sommer in unsere Heimat. Wobei: Eine Zeit lang schon und dann wieder nicht. Weil wir ja alle die Infektionszahlen wieder ankurbeln würden. Also nicht die Österreicher, die in Kroatien oder Italien Urlaub machen. Nein, nein. Wir vom Balkan waren leider schuld. Und das ist gar nicht blind von mir daher gesagt. "Wir hatten im Sommer sehr sehr niedrige Ansteckungszahlen nach dem Lockdown und haben dann durch Reiserückkehrer, und insbesondere auch durch Menschen, die in ihren Herkunftsländern den Sommer verbracht haben, uns Ansteckungen wieder ins Land hereingeschleppt", meinte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) während einer Pressekonferenz, kurz vor dem zweiten Lockdown.

Gut, vielleicht hat er das ja alles nicht so gemeint und die Emotionen sind ein wenig mit ihm durchgegangen. So wie bei uns allen in diesem Jahr. Es war ja eine Ausnahmesituation für die ganze Welt. Apropos Ausnahme: Wir Balkaner waren auch die Ausnahme bei den Massentests. So zumindest die Meinung einiger Politiker, wie zum Beispiel Wiener Neustadts Bürgermeister Klaus Schneeberger (ÖVP). Der rechtfertigte die magere Test-Ausbeute wie folgt: "Das ist nicht gut so, aber ich führe das auf die Zusammensetzung in der Stadt zurück." Jetzt könnte man sagen, dass man hier die "Ausländer-Keule" einfach nur reininterpretieren würde. So habe er das vielleicht gar nicht gemeint. Das wäre auch wirklich möglich gewesen, wenn er nicht weitergeredet hätte: "Wir haben einen riesengroßen Migrationsanteil, und leider sind die Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund spärlich da, sich entsprechend testen zu lassen." Das das so nicht ganz stimmen kann, habe ich euch allen HIER vorgerechnet. War gar nicht so schwer - wenn es sogar ich hinbekommen habe. 

Über diesen Blog

Hallo und herzlich willkommen zu "Hajde", dem "Balkan Blog" auf "Heute.at"! Unser Blogger ist zwischen Sarma und Wiener Schnitzeln aufgewachsen. Wie das so ist? Er verrät's euch in seinen Kolumnen. Und zwar immer mit einem Augenzwinkern!
Übrigens: "Hajde" bedeutet auf Deutsch so viel wie "Los geht's!"

Und was ist für euch typisch Balkan? Siehst du manche Sachen vielleicht anders als unser Redakteur?
Eure Inputs sind willkommen unter [email protected]
oder schreib einfach auf Whatsapp unter 0670/400 400 4

Es gibt echte Probleme

Also gut: Das heißt, ich durfte in diesem Jahr nicht in meine Heimat. Danach wurde mir trotzdem die Schuld an einer zweiten Welle gegeben und schließlich gingen ja alle zu den Massentests, außer alle Balkaner. Ich war also der Sündenbock in diesem Jahr. Oder vielleicht bin ja auch ich derjenige, der ja eh nicht gemeint ist, weil er sich ja so toll integriert hat. Auch möglich. Vielleicht werden ja irgendwann alle, die nicht gemeint sind, in einer Pressekonferenz erwähnt. Oder wir werden wieder alle über einen Kamm geschoren. Immerhin sind wir es ja schon gewohnt, also alles ok.

Was aber nicht ok ist, sind die derzeitigen Zustände an der kroatischen Grenze. Meine ganzes Gejammere in den obigen Zeilen darf natürlich mit Augenzwinkern gelesen werden. Denn im Endeffekt geht es mir ja wirklich gut. Ich bin gesund, meine Familie ist gesund, wir haben alle ein Dach über den Kopf und genug zu essen. Das ist aber nicht bei allen der Fall. Ausgerechnet über Weihnachten brannte nämlich das Flüchtlingscamp Lipa in Bosnien ab. Ob der Brand gelegt wurde oder nicht, steht hier gar nicht zur Debatte. Es ist jetzt nun mal so, dass wir eine humanitäre Katastrophe vor der Haustür haben. Nur wenige hundert Kilometer von der Grenze Spielfeld entfernt. Den Menschen muss definitiv geholfen werden. Selbst, wenn man sie "nicht hier haben" will, aus welchen Gründen auch immer: Es braucht Hilfe. Vielleicht sogar genau dann. Denn auch durch die Hilfe vor Ort kann Geflüchteten geholfen werden. Aber es braucht einen ersten Schritt. Und ich will nicht, dass der Balkan wieder Schuld ist für etwas, wofür er vielleicht gar nichts kann.

Und ja, es gibt mehrere Flüchtlingslager, die in den kalten Wintermonaten allesamt Hilfe benötigen. Jedes einzelne. Aber wie gesagt: Das hier ist der "Balkan Blog". Und dort schaue ich, als ehemaliger Flüchtling, ganz genau hin.

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    Das Lager Lipa liegt in Bosnien an der Grenze zu Kroatien. Erst vor wenigen Tagen schlugen Organisationen Alarm: Geschätzte 3.000 Menschen leben dort, Schnee und Kälte ausgesetzt.
    Das Lager Lipa liegt in Bosnien an der Grenze zu Kroatien. Erst vor wenigen Tagen schlugen Organisationen Alarm: Geschätzte 3.000 Menschen leben dort, Schnee und Kälte ausgesetzt.
    Reuters