General Robert Brieger (68) ist einer der höchstdekorierten Offiziere des österreichischen Bundesheeres. Er war vier Jahre lang Chef des rot-weiß-roten Generalstabs und war zwischen Mai 2022 und Mai 2025 Vorsitzender des Militärausschusses der Europäischen Union. Jetzt ist er wieder zurück in Wien und lässt mit Schilderungen bedrückender Entwicklungen in einem APA-Interview aufhorchen.
Der russische Überfall auf die Ukraine drei Monate nach seiner Amtsübernahme habe vieles verändert. Zuvor habe sich die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf Krisenherde außerhalb der Union konzentriert. Putins Invasion habe das umgekehrt, schildert Brieger: "Ich habe sofort feststellen dürfen, dass sich die Prioritäten und Erwartungen gegenüber dem Militär und den Sicherheitsprovidern stark verändert haben."
Die russische Invasion sei der "Weckruf" gewesen, die teils kaputtgesparten Armeen der EU-Mitgliedsstaaten wieder auf Vordermann zu bringen. Doch die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte lassen sich nicht in kürzester Zeit wieder aufholen.
„Der russische Angriff auf die Ukraine war jener Weckruf, der die Entscheidungsträger dazu veranlasst hat, nunmehr doch deutliche Akzente zu setzen.“Robert BriegerBundesheer-General
"Deshalb sind die Bestrebungen der Herstellung einer europäischen Verteidigungsbereitschaft auf die Jahre 2030/32 fokussiert – um die Rüstungsindustrie, die Harmonisierung der Streitkräfte, aber auch den gesellschaftlichen Lernprozess voranzutreiben", erklärt der Heeres-General: "Es muss klar werden: Sicherheit hat ihren Preis. Und der ist zu entrichten. Wie eine Versicherungspolizze."
Für eine erfolgreiche Abschreckung eines potenziellen Gegners müsse für diesen eine glaubhafte Verteidigung erkennbar sein, mahnt er und ortet da auch dringenden Nachholbedarf in Sachen Wehrbereitschaft der Bevölkerung: "Ich denke, dass die geistig-psychologische Komponente unserer westlichen demokratischen Gesellschaft ein ganz fundamentaler Faktor ist."
Auch das österreichische Bundesheer muss sich wandeln: "Der Katastrophenhelfer ist eine Nebenaufgabe", stellt Brieger klar. Das Bundesheer habe die Katastrophenhilfe in den vergangenen Jahren fälschlicherweise zu sehr in den Vordergrund gerückt, spart er auch nicht mit Selbstkritik.
Das rächt sich jetzt: "Wir sind als neutraler Staat zu Verteidigungsvorbereitungen verpflichtet. Wir haben das nicht so ernst genommen und stehen jetzt vor der Herausforderung, dieses reduzierte Bundesheer wieder zu einer einsatzbereiten Armee zu machen."
„In der EU ist man sich einig, dass Russland auf absehbare Zeit eine akute Bedrohung Europas darstellt.“Robert BriegerBundesheer-General
Eine Diskussion über die österreichische Neutralität hält Brieger in Zukunft für "unvermeidlich": "Wenn man den Status der militärischen Neutralität beibehält, muss man mehr militärische Vorsorge treffen als ein Land in einem aufgabenteiligen Bündnis."
"In der EU ist man sich einig, dass Russland auf absehbare Zeit eine akute Bedrohung Europas darstellt", betont Brieger. Ob Putin auch tatsächlich EU-Staaten angreifen wolle, könne man aber wohl erst nach dem Ende des derzeitigen Ukraine-Kriegs einschätzen. Er mahnt jedoch: "Wir haben es allerdings mit einem Regime zu tun, das gewisse imperiale Ambitionen verfolgt. In diesem Denken gehören Territorien wie die Ukraine und möglicherweise auch das Baltikum zu Russland."
Sein Blick auf den immer noch tobenden Konflikt ist bedrückend: "Die schlechte Nachricht ist, dass die vollständige Wiederherstellung der Souveränität der Ukraine militärisch unrealistisch ist. Das haben mittlerweile wohl auch die Politiker gelernt." Eine Rückeroberung der Krim und auch der Ostukraine sei kaum durchzusetzen. Die ihm zugänglichen Analysen würden suggerieren, dass Russland diesen Krieg wohl noch zwei weitere Jahre führen könne. "Wie der Konflikt beendet werden kann, ist aber nur politisch zu beantworten. Die Initiative liegt bei Washington und Moskau, hoffentlich auch bei Kyjiw."
„Bisher war ein Schützenloch ein Schutz. Das kann man vergessen.“Robert BriegerBundesheer-General
Die Lehren aus diesem Krieg werden schon jetzt gezogen. "Es ist tatsächlich ein fundamentaler Wechsel in der Gefechtstechnik und Taktik eingetreten", konstatiert Brieger zur Dominanz der Drohnen an der Ukraine-Front. Beide Seiten befänden sich in einem Rüstungswettlauf, der in enormer Geschwindigkeit abläuft: "Die Ukrainer sagen, es hat gar keinen Sinn, wenn sich die EU jetzt eine Million Drohnen zulegt, denn die sind in einem Monat schon wieder veraltet".
Obendrauf eröffnen Künstlichen Intelligenz und Robotik gänzlich neue Möglichkeiten. "Diese Entwicklung ist unumkehrbar", warnt der General. Die blutige Realität: "Bisher war ein Schützenloch ein Schutz. Das kann man vergessen. Auch im Bundesheer müssen wir den Gefechtsdienst neu denken."