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"Erdogan hat politische Mitverantwortung für Attacken"

Die Messerattacke von Nizza, der Angriff in Avignon und eine Attacke bei der französischen Botschaft in Dschidda. Wie hängen diese Vorfälle zusammen?

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Terror in Nizza 29.10.2020
Terror in Nizza 29.10.2020
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Drei Tote in Nizza, eine vereitelte Messerattacke in Avignon sowie ein Angriff auf einen Wächter der französischen Botschaft in Dschidda, Saudi-Arabien. Für den Schweizer Nahost- und Islamismus-Experten Guido Steinberg von der Stiftung für Wissenschaft und Politik haben diese mutmaßlich islamistischen Attacken denselben Hintergrund: "Es geht um den neuen Streit zwischen der Türkei und Frankreich über die Mohammed-Karikaturen sowie um den Mord an dem französischen Lehrer bei Paris von vor zwei Wochen."

In den letzten Tagen war die Debatte durch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zusätzlich verschärft worden. Dieser hatte im Streit mit Frankreich über Mohammed-Karikaturen und Meinungsfreiheit bestimmten Ländern eine "Neuauflage der Kreuzzüge" vorgeworfen. Diese würden von westlichen Staaten geplant, die den Islam attackierten. Sich gegen Angriffe auf den Propheten Mohammed zu stemmen, sei "eine Frage der Ehre". Diese Kritik lässt Nahost-Experte Steinberg aber nicht gelten: "Erdogan verkennt, dass Frankreich keine Islam-feindliche Politik, sondern eine Islamismus-feindliche Politik betreibt."

"Darf uns nicht überraschen, wenn das so weitergeht"

Mit seinen Äußerungen habe Erdogan die öffentliche Aufmerksamkeit noch stärker auf die Mohammed-Karikaturen gelenkt - wobei er aber den Mord an dem französischen Lehrer nicht thematisiert hatte. "So entstand der Eindruck, dass die Karikaturen, nicht aber der Mord, das wahre Problem seien", sagt Steinberg. Und weiter: "Das hat die Ressentiments gegen Frankreich in muslimischen Ländern in den letzten Tagen zusätzlich geschürt. Insofern trägt Erdogan an den aktuellen Angriffen eine politische Mitverantwortung."

Der Konflikt zwischen der Türkei und Frankreich drehe sich dabei nur an der Oberfläche um die Mohammed-Karikaturen, so Steinberg. Tatsächlich habe der Streit zwischen den Nato-Verbündeten deutlich mehr Spielarten, sei es im Konflikt im östlichen Mittelmeer, bei dem sich Frankreich solidarisch mit Griechenland und Zypern zeigt, sei es im Konflikt in Libyen, wo sich Paris und Ankara die jeweils gegnerische Seite unterstützen.

Wie Frankreich auf die jüngsten Messerattacken reagieren wird, wird sich zeigen. Steinberg: "Sicher aber wird Paris reagieren müssen und die Laizität und Meinungsfreiheit verteidigen." Es bestehe jetzt die Gefahr, dass man in Europa Nachahmer-Attacken sehe. "Es darf uns nicht überraschen, wenn das so weitergeht", sagt Steinberg.

"Ziel ist, die westliche Gesellschaft zu einer Überreaktion zu zwingen"

Der Unterschied zu den "Terror-Jahren" 2014 bis 2017 sei jedoch, dass keine starke Terrororganisation im Hintergrund die Fäden ziehe. Die jüngsten Messerattacken seien wahrscheinlich von sogenannten "lone wolves", Einzeltätern, verübt worden. "Organisationen wie der IS sind seit 2018 nicht mehr in der Lage, internationale Anschläge zu organisieren oder anzuleiten - dafür sorgen unsere Sicherheitsdienste, die seither viel dazugelernt haben."

Dennoch: "Die islamistische Ideologie ist auch in Westeuropa weiter verbreitet, da dürfen wir uns nichts vormachen."

Als Folge der Flüchtlingspolitik habe sich die Zahl der Jihadisten erhöht, sei dies nun in Frankreich, Deutschland oder Skandinavien. "Es gibt zwar nicht viele, die ihr Leben wegen einer Mohammed-Karikatur opfern würden. Ich schätze, da kommt kein Dutzend Personen zusammen." Und doch: Letztlich sei das Ziel, die westliche Gesellschaft zu einer Überreaktion zu zwingen - und dafür eignen sich solche Messerattacken. "In solchen Momenten wird die enorme Sprengkraft ersichtlich, die sich aus der Gegnerschaft zwischen den Jihadisten und den Mehrheitsgesellschaften ergibt", sagt Steinberg.

Terror-Kontrollen in Österreich

"Ich verurteile die schrecklichen Attentate in Frankreich zutiefst", sagte Innenminister Nehammer (ÖVP) angesichts der jüngsten Attentate in Frankreich am Donnerstag. "Wir stellen uns in Österreich mit aller Kraft gegen Terror und Extremismus." Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) stehe in engem Kontakt mit den französischen Behörden, so Nehammer.

Zudem wies er den Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, an, alle Polizeidienststellen zu sensibilisieren und den öffentlichen Raum verstärkt bestreifen zu lassen. Gegen Terrorismus müsse in einem gesamtgesellschaftlichen Ansatz vorgegangen werden, erklärte Nehammer. Mehr dazu hier >>

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