WHO-Vertrag fix

Experte packt im ORF über den Pandemievertrag aus

Chaotische Zustände wie bei der Corona-Pandemie sollen sich nicht wiederholen. Mehr als 190 Länder haben jetzt einen Pandemievertrag verabschiedet.
20.05.2025, 22:18
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Die Weltgemeinschaft will Panik und Chaos wie während der Corona-Pandemie im Fall einer neuen großen Gesundheitsnotlage verhindern. Dazu haben die Mitglieder der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf einen Pandemievertrag verabschiedet. Eine neue Pandemie ist nur eine Frage der Zeit, warnt WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus: "Die nächste Pandemie ist keine Frage des 'ob', sondern des 'wann'". Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Länder verpflichten sich mit dem Vertrag, ihre Gesundheitssysteme und die Überwachung des Tierreichs so zu stärken, dass Krankheitsausbrüche schnell entdeckt und möglichst im Keim erstickt werden. Alle Länder sollen zudem Zugriff auf Schutzmaterial, Medikamente und Impfstoff haben. Gesundheitspersonal soll weltweit zuerst versorgt werden. Pharmafirmen sollen ihr Know-how außerdem teilen, damit auch in anderen Ländern Medikamente und Impfstoffe produziert werden können.

"Man hätte früher reagieren können"

Am späten Dienstagabend nahm der ehemalige WHO-Krisenmanager Gerald Rockenschaub in der "ZIB2" bei ORF-Moderator Stefan Lenglinger Stellung. "Die Verteilung von knappen Gütern, von Schutzmaterialien, von Impfstoffen wäre sicher um einiges gerechter gelaufen und wahrscheinlich hätte man auch in den Anfangsstadien der Pandemie früher reagieren können", so Rockenschaub dazu, was es geändert hätte, hätte es den Pandemievertrag bereits vor fünf Jahren gegeben. Lieferketten, Forschung und Entwicklung sowie Solidarität würden gestärkt.

Falls eine neue Pandemie komme, gehe er da wirklich davon aus, dass reiche Staaten knappe Ressourcen fair zu verteilen – ohne Strafmaßnahmen? Es sei "unsere Stärke", dass der Wille bestehe, sich gegenseitig zu helfen und es ein Prinzip "name and shame" gebe, bei dem Verstöße international in den Medien benannt würden, so Rockenschaub. Sei es deswegen ein zahnloses Papier? "Es ist ein Kompromiss" und "eine gute Basis, die natürlich weiterentwickelt werden muss", so der Experte. Details wie die Verteilung müssten ausverhandelt werden.

"Die Welt ist ein bisschen sicherer geworden"

Dennoch sah Rockenschaub den WHO-Vertrag positiv: "Ich glaube, die Welt ist ein bisschen sicherer geworden und besser vorbereitet auf künftige Krisen" – und aus Lektionen, die man durch Corona habe "schmerzlich lernen müssen". Und Österreichs Pandemiegesetz, das aus dem Jahr 1913 stamme? "Ich glaube, das ist in Bearbeitung, das zu revidieren. Da hat, glaube ich, bei der Vorgängerregierung etwas der politische Wille gefehlt, um das wirklich durchzutragen und auch umzusetzen", so der Ex-WHO-Krisenmanager. Es gebe nun auch ein starkes Interesse der Zivilgesellschaft, das sei ein positives Zeichen.

Und was antworte er, wenn etwa die FPÖ Bedenken anmelde, dass die WHO einen "Dauernotstand" mit Lockdowns ausrufen könnte? Es sei ganz deutlich vorgeschrieben, dass die Sicherheits-Kompetenz für Lockdowns und Schutzmechanismen "bei den Nationalstaaten verbleibt, die WHO kann ja nur Empfehlungen aussprechen", hieß es. Das sei "ganz klar ausgeschlossen", so Rockenschaub zur FPÖ-Kritik – die WHO habe global 8.000 Mitarbeiter, "das ist weniger als ein Drittel des Wiener Krankenanstaltenverbunds, wie sollte die WHO da etwas zwangsweise umsetzen?"

Impfstofffirmen sollen WHO 10 % der Produktion spenden

Durch den Vertrag soll sich auch bei Forschung und Entwicklung etwas tun: DNA-Sequenzen von Pathogenen – also etwa Viren, Bakterien oder anderen Mikroorganismen – sollen für die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen frei zur Verfügung gestellt werden. Im Gegenzug sollen Impfstofffirmen der WHO zehn Prozent ihrer Produktion zur Verteilung in ärmeren Ländern spenden und weitere zehn Prozent zu günstigen Preisen abgeben – das sogenannte Pabs-System.

Unterm Strich sind alle Erwartungen erfüllt worden – aber in den gut dreijährigen Verhandlungen waren zahlreiche Kompromisse nötig. Europäer wollten zum Beispiel stärkere Auflagen bei der Prävention: Regierungen sollen das Krankheitsgeschehen in der Tierwelt enger überwachen, weil Erreger von dort sich an Menschen anpassen können. Ärmere Länder verwiesen auf die hohen Kosten. Die afrikanischen Länder wiederum hätten gerne strengere Auflagen im Pabs-System und beim Technologietransfer gesehen sowie klare Finanzierungshilfen zur Stärkung der Gesundheitssysteme.

Warum warnen Populisten vor dem Vertrag?

Verschwörungstheoretiker behaupten vor allem in sozialen Netzwerken, die WHO könne nun bei der nächsten Pandemie Zwangsmaßnahmen anordnen. Auch die konservative Schweizer Wochenzeitung "Weltwoche" haut in diese Kerbe: "Die WHO würde mit dem neuen Vertragswerk faktisch zur mächtigsten Behörde der Welt, zu einer Behörde, die über den Ausnahmezustand entscheidet", schreibt sie.

Das ist falsch. In Artikel 22 des Pandemievertrages steht ausdrücklich, dass weder die WHO noch ihr Generaldirektor innerstaatliche Maßnahmen anordnen, Reisebeschränkungen verhängen, Impfungen erzwingen oder Lockdowns anordnen können. Der Vertrag gilt nur in Ländern, die ihn ratifizieren. In dem Vertrag sind keine Strafmaßnahmen vorgesehen, wenn ein Land seinen Verpflichtungen nicht nachkommt.

Was lief bei der Corona-Pandemie schief?

Die Modalitäten des Pabs-Systems wurden in einen Anhang ausgelagert, der noch ausgehandelt werden muss. Das dürfte ein weiteres Jahr dauern. Dann erst kann der Vertrag den Regierungen zur Ratifizierung vorgelegt werden. Er tritt erst in Kraft, wenn 60 Länder ihn ratifiziert haben. Die WHO hat derzeit noch 194 Mitgliedsstaaten, die USA und Argentinien haben jedoch ihren Austritt angekündigt.

Als sich 2020 das Coronavirus Sars-Cov-2 von China aus in der ganzen Welt verbreitete, reagierten viele Länder mit Panik. Masken und Schutzmaterial waren knapp. Regierungen machten sich gegenseitig Bestellungen streitig, viele verhängten Ausfuhrsperren für solches Material, auch Deutschland. Als endlich Impfstoff da war, horteten Länder die Impfdosen, die USA und Indien stoppten sämtliche Ausfuhren. Und während in reichen Ländern schon die dritte Impfung verabreicht wurde, warteten Menschen in ärmeren Ländern noch auf die erste Lieferung.

Die Folgen: schätzungsweise 36 Millionen Tote weltweit – durch eine Infektion oder weil sie wegen anderer Krankheiten in der Pandemie nicht behandelt werden konnten. Die Wirtschaft brach weltweit ein, Millionen von Kleinunternehmen gingen pleite.

{title && {title} } red,20 Minuten, {title && {title} } 20.05.2025, 22:18
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