WM 2022

Flitzer-Analyse! Er lief über Spielerbank aufs Feld

Die WM hat ihren ersten Flitzer. Wie es der Italiener aufs Feld schaffte, welche Route er wählte, wie lange es bis zum Tackling dauerte.

Heute Redaktion
Die Überkopf-Analyse des Katar-Flitzers.
Die Überkopf-Analyse des Katar-Flitzers.
Screenshot

Er heißt Mario Ferri, ist Italiener und hat geschafft, woran die Superstars der Top-Nationen bisher gescheitert sind: Er lief mit einem Regenbogen auf den Rasen eines WM-Stadions.

Den Spielern wurden die "One Love"-Binden verboten. Aus Angst vor den Konsequenzen haben die Kapitäne auf das Symbol für die gleiche Liebe und die damit einhergehende Kritik an der prekären Menschenrechtssituation im Austragungsland der Fußball-WM in Katar.

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    Der erste WM-Flitzer! Mario Ferri aus Italien lässt eine Regenbogen-Flagge wehen, trägt Solidaritäts-Botschaften für die Ukraine und die iranische Frauen-Bewegung.
    Der erste WM-Flitzer! Mario Ferri aus Italien lässt eine Regenbogen-Flagge wehen, trägt Solidaritäts-Botschaften für die Ukraine und die iranische Frauen-Bewegung.
    Newspix / EXPA / picturedesk.com

    Diese Botschaften zeigte Ferri

    Ferri ist der erste WM-Flitzer, schafft es am Montagabend im Lusail-Stadion auf das Spielfeld und schlüpft sogar für wenige Augenblicke durch das Zensur-Netz der FIFA. Kurze Zeit sehen Millionen Fans rund um den Globus den jungen Mann im Superman-Shirt, der eine Regenbogenflagge wehen lässt, die Botschaften "Save Ukraine" und "Respect for Iranian Women".

    Es ist der Menschenrechts-Hattrick! Mit einem Schlag macht der Mann auf drei große Problemfelder aufmerksam: Die Unterdrückung der LGBTQI+-Community in Katar, die brutal niedergeschlagenen Frauen-Proteste im Iran, den seit Monaten tobenden russischen Angriffskrieg in der Ukraine.

    Im Netz wird Ferri gefeiert. Aber: Zugleich machen sich Fans Sorgen um den mutigen Mann. Die internationale Bildregie schneidet nach wenigen Augenblicken weg. Aufnahmen von Sportfotografen zeigen die Momente, in denen er von Sicherheitskräften gefangen und vom Platz gebracht wird. Über das, was seither geschehen ist, ist nichts überliefert.

    Die Analayse

    Spannend: Obwohl die Fifa bereits nach wenigen Sekunden wegschwenkt, dem Flitzer und seinen Botschaften keine Bühne bieten will, gibt es ein Schlupfloch. Eine Überkopf-Kamera, die eigentlich Scouts und Taktikern zur Spiel-Analyse dient, liefert Aufnahmen, die den Lauf von Ferri bis ins kleinste Details zeigen.

    Diese Bilder schafften es nie ins internationale Fernsehen.

    Ferri klettert über die Tribüne auf das Dach der Portugal-Spielerbank, springt auf den Rasen und läuft in Richtung Mittelauflage auf das Spielfeld.
    Ferri klettert über die Tribüne auf das Dach der Portugal-Spielerbank, springt auf den Rasen und läuft in Richtung Mittelauflage auf das Spielfeld.
    Screenshot

    Ferri bahnt sich seinen Weg über die Spielerbank Portugals auf das Feld. Er klettert auf die niedrige Barrikade, springt von dort aus auf das Dach der Spielerbank der Portugiesen und anschließend auf das Grün.

    Die Kicker sind zu sehen, wie sie erschrocken von ihren Plätzen aufspringen, nicht so recht wissen, was passiert und wie sie mit der Situation umgehen sollen. Einige machen Gesten in Richtung Schiedsrichterteam. Andere scheinen kurz sogar mit dem Gedanken zu spielen, einen Versuch zu wagen, ihn einzufangen, verwerfen diesen aber rasch wieder.

    Ferri ist zu diesem Zeitpunkt schon längst auf dem Spielfeld. Er läuft zunächst in Richtung Mittelauflage, packt die Regenbogenflagge aus und lässt sie über seinem Kopf wehen. Dabei beschleunigt er seinen Lauf. Denn: Die ersten beiden Ordner haben in unauffälligen Trainingsanzügen gekleidet die Verfolgung aufgenommen. Ferri schlägt einen Haken, läuft jetzt aus Sicht der Taktik-Kamera in die untere Spielhälfte, wo die Mehrzahl der Kicker ihren Laufschritt bereits in ein Traben verwandelt haben. Einige blicken interessiert in Richtung des Flitzers. Es steht zu diesem Zeitpunkt 0:0.

    Dann erfolgt das Tackling. Nach exakt 94,2 Metern wird der Lauf des Italieners unsanft gestoppt. Drei Sicherheitskräfte stürzen sich auf ihn, führen den Aktivisten anschließend vom Feld. Sie bringen ihn schließlich auch aus dem Blickfeld der Analyse-Kamera.

    Szene macht Angst: Sogar Star zittert um Flitzer

    Sogar Portugal-Star Ruben Neves macht sich in der Mixed-Zone nach dem Abpfiff Sorgen um den Flitzer, sagt: "Ich hoffe, dem Jungen passiert nichts. Wir alle haben seine Botschaft verstanden, die ganze Welt hat sie verstanden." Es ist zu sehen, wie sich ein Offizieller der Fifa zu ihm lehnt, ihm etwas ins Ohr flüstert. Die Fans erfahren das Besprochene zunächst nicht. Erst später sickert durch: Der Mitarbeiter sagte, er habe ebenfalls keine Ahnung, was mit ihm passiert.

    Es ist ein Sinnbild für die WM im Wüstenstaat. Vieles darf nur hinter vorgehaltener Hand besprochen werden. Symbole westlicher Wertvorstellungen sind nicht erwünscht.

    Was Ferri nun droht? Darüber kann nur spekuliert werden. Fakt ist: Homosexualität ist in Katar illegal, kann Gefängnisstrafen von einem bis sieben Jahre nach sich ziehen. In manchen Fällen sogar die Todesstrafe. Die Regenbogen-Flagge des Flitzers wird das Königreich also kaum auf die leichte Schulter nehmen.

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