Bei ihrer Suche nach vor Jahrzehnten entsorgtem Atommüll haben Wissenschaftler bereits mehr als 1000 Fässer im Nordostatlantik entdeckt und verortet. Das teilte eine Sprecherin der französischen Forschungsorganisation CNRS mit. Das internationale Forschungsteam war Mitte Juni vom westfranzösischen Brest aus mit seinem Schiff "L’Atalante" zu seinem Suchareal im westeuropäischen Becken des Atlantiks aufgebrochen.
Vier Wochen lang wollen sie dort nach Atommüll-Fässern suchen und schauen, welchen Einfluss diese auf das örtliche Ökosystem haben. Mit dabei ist auch ein Forscher vom Thünen-Institut für Fischereiökologie in Bremerhaven.
Zwischen den 1950er- und 1980er-Jahren haben etliche Staaten nuklearen Abfall im Ozean entsorgt. Die Tiefen des Ozeans, die fernab der Küste und von menschlicher Aktivität lagen, erschienen als günstige und einfache Lösung, um das zu entsorgen, was in der Industrieentwicklung und in Laboren anfiel – zumindest dort, wo der Ozean als geologisch stabil galt.
Einsamer Spitzenreiter war das Vereinigte Königreich, das ab 1942 bis 1982 über 140.000 Fässer mit Atommüll im Meer entsorgte. Auf dem zweiten Platz folgt Belgien mit 55.000 Fässern, dann Frankreich mit mindestens 46.000 Fässern.
Auch die Schweiz entsorgte bis ins Jahr 1982 insgesamt 5321 Tonnen Atommüll im Meer – das entspricht je nach Inhalt und Versiegelung der Behälter etwa 13.000 Fässern, die von der Eidgenossenschaft damals im Atlantik versenkt wurden. Deutschland soll etwa 480 Atommüll-Fässer entsorgt haben, und auch die Niederlande, Schweden und Italien entledigten sich im Atlantik ihres Atommülls.
Über das Leben in den Weltmeeren wusste man damals wenig. Erst 1993 wurde die Entsorgung von Atommüll im Ozean schließlich untersagt. Mindestens 200.000 Fässer werden alleine im Nordostatlantik vermutet – in 3000 bis 5000 Metern Tiefe.
Wo genau sich der Nuklearmüll befindet, ist aber nicht bekannt. Auch über den Zustand der Tonnen und ob sie einzeln oder in Gruppen liegen, weiß man nicht viel. 21 Forschende sind deshalb derzeit in dem Gebiet unterwegs, in dem wohl die Hälfte der Abfälle landete.
Das Team will eine Karte mit Atomfass-Funden erstellen und etliche Proben von Wasser, Boden und Tieren nehmen. Unterstützung bekommen sie dabei vom autonomen Tauchroboter Ulyx, der unter anderem über eine Kamera für 3D-Bilder und ein Sonarsystem zur Ortung von Gegenständen mit Schall verfügt.
Patrick Chardon, Leiter des Projekts NODSSUM (Nuclear Ocean Dump Site Survey Monitoring), geht davon aus, dass bei den allermeisten nuklearen Abfällen im Nordatlantik die Radioaktivität nach etwa 300 bis 400 Jahren quasi verschwunden sein dürfte. Jedoch seien die Fässer damals so konzipiert worden, dass sie dem Druck der Tiefe standhalten, nicht aber so, dass sie die Radioaktivität wirklich einschließen. Schon seit Längerem könnte Radioaktivität aus den Behältern entweichen, vermutet der Atomphysiker.