Tränen der Freude und Erleichterung in Tel Aviv: Nach der Freilassung der 20 überlebenden Hamas-Geiseln haben am Montag tausende Menschen am sogenannten Platz der Geiseln gefeiert. Viele haben gemeinsam gesungen, getanzt und sich überglücklich in die Arme geschlossen, wie ein AFP-Reporter beobachtet hat.
Gleichzeitig haben in Ramallah im Westjordanland Menschen die Freilassung dutzender palästinensischer Gefangener aus israelischer Haft gefeiert.
Am Platz in Tel Aviv war die Freude aber auch mit Trauer gemischt. "Wir haben auf diesen Moment gewartet, aber es bleibt die Trauer für diejenigen, die nicht zurückkehren", sagte der 54-jährige Lehrer Ronny Edry der Nachrichtenagentur AFP. Trotzdem sei es ein "schöner Tag, auf den wir seit zwei Jahren gewartet haben", betonte er.
Nach einer schlaflosen Nacht sind in Tel Aviv schon im Morgengrauen viele Menschen zum Platz geströmt, um gemeinsam auf die Freilassung der letzten Hamas-Geiseln zu warten. Die Übergabe der 20 noch lebenden Geiseln ans Rote Kreuz und ihre ersehnte Ankunft in Israel wurde dann auf einer großen Leinwand übertragen. Einige der Versammelten haben Schilder mit den Porträts der Geiseln getragen, andere haben israelische Fahnen geschwenkt.
Noga, eine junge Frau aus Tel Aviv, hatte einen Aufkleber mit der Aufschrift "letzter Tag" auf der Brust. Seit dem Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem die radikalislamische Hamas und ihre Verbündeten 251 Geiseln genommen und in den Gazastreifen verschleppt hatten, hat sich Noga jeden Tag einen neuen Aufkleber mit der jeweils aktuellen Zahl der Geiselhaft-Tage angeheftet. Sie schwanke "zwischen Euphorie und Traurigkeit für diejenigen, die nicht zurückkommen werden", beschrieb sie ihre Gefühle.
Der Platz der Geiseln war ein gelbes Meer. Das israelische Familienforum, die wichtigste Organisation der Angehörigen der Geiseln, hatte eine "gelbe Nacht" organisiert. Gelb ist in Israel die Farbe der Geiseln und hat den öffentlichen Raum erobert – von Autotürgriffen über Café-Eingänge bis hin zu Schaufenstern und Kinderwägen.
Auch in Ramallah wurde gefeiert. Dort sind Dutzende aus israelischer Haft entlassene Palästinenser jubelnd empfangen worden. Israel hatte zugestimmt, im Austausch für die Geiseln palästinensische Gefangene freizulassen. Einige der Freigelassenen haben mit ihren Fingern ein V für "Victory" (Sieg) gezeigt. Beim Verlassen des Busses, der sie von einem israelischen Gefängnis zu einem Kulturzentrum in Ramallah gebracht hat, haben die meisten gelächelt.
"Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, eine Wiedergeburt", sagte einer der Freigelassenen, Mahdi Ramadan, der AFP. Er wurde von seinen Eltern empfangen. Insgesamt sollten 250 palästinensische Häftlinge freikommen – darunter auch wegen tödlicher Attentate Verurteilte. Zusätzlich war die Freilassung von 1.700 Palästinensern vorgesehen, die nach Beginn des Gaza-Kriegs vor zwei Jahren festgenommen worden waren.
Für Nur Sufan war es eher ein erstes Treffen als ein Wiedersehen mit seinem Vater. Der 27-Jährige war wenige Monate nach dessen Festnahme zur Welt gekommen. Mit seiner Familie reiste Sufan aus Nablus nach Ramallah und verbrachte die Nacht im Auto. "Ich bin natürlich sehr bewegt, es ist eine große Freude, aber man kann sich nicht wirklich freuen, solange Krieg herrscht", sagte er. "Wir hoffen auf Frieden, nicht nur in Palästina, sondern überall auf der Welt."
Am späten Montagabend schätzte der Nahost-Experte Daniel Gerlach die Lage in der "ZIB2" bei ORF-Moderator Armin Wolf ein. Ist der Krieg vorbei? "Das wissen wir nicht", so der Experte, die Erwartungen seien aber groß. "Wenn die Amerikaner den Druck hoch halten und die Aufmerksamkeit hoch halten, und die anderen internationalen Akteure dabei mithelfen, und die Konfliktparteien natürlich, Hamas, die palästinensische Seite, und die israelische Seite, sich daran gebunden fühlen, dann kann es sein, dass dieser Krieg vorbei ist."
Es gebe bisher einen Waffenstillstand, "das ist kein Friedensvertrag", so Gerlach. Es sei "ein großer Marketingerfolg für Trump", doch auch der könne "bereits die halbe Miete sein". Der Experte erinnerte aber: Einen Waffenstillstand und einen Vertrag hätte es bereits vor acht Monaten geben können, die Beteiligten hätten sich aber schnell nicht mehr daran gebunden gefühlt. Beachtlich sei aber, dass nun die internationalen Akteure an den Bemühungen beteiligen würden.
Ob es dauerhaften Frieden geben könne, hänge von drei Faktoren ab, so Gerlach: Ob die Entwaffnung der Hamas einhergehe mit dem Abkommen mit den israelischen Streitkräften und deren Rückzug, ob die internationale Stabilisierungstruppe ihre Arbeit aufnehmen könne und wie diese im Detail aussehe. Eines der größten Probleme des Waffenstillstandsabkommens laut dem Experten: die palästinensische Seite fehle. "Jemanden, der nicht für die Hamas, sondern für die palästinensische Bevölkerung sich auf ein Abkommen verpflichtet und die Zwei-Staaten-Lösung dann in Gang bringt, den haben wir derzeit noch nicht."