Ungefiltert ins Wasser

Giftiger Schaum im Bodensee – brisantes Gutachten

Giftiger Löschschaum floss ungefiltert in den Bodensee – und niemand soll Alarm geschlagen haben. Nun decken vertrauliche Akten Brisantes auf.
12.04.2025, 16:24

Bei zwei Chemieunfällen Ende 2020 und Anfang 2021 gelangten rund 910 Kilogramm Löschschaum vom Gelände des australischen Verpackungskonzerns Amcor in Goldach in die Goldach und weiter in den Bodensee. Der Schaum enthielt PFOS – eine zur Gruppe der per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS) gehörende, krebserregende Chemikalie, die in der Schweiz seit 2011 verboten ist. Weder Polizei noch Umweltbehörden wurden damals informiert. Der Bodensee gilt als größter Trinkwasserspeicher Europas.

CH Media erhielt nach einem Rechtsstreit bis vor Bundesgericht Einblick in die Untersuchungsakten. Diese offenbaren laut der Redaktion schwerwiegende Versäumnisse und einen mutmaßlichen Vertuschungsversuch.

Es sei niemand alarmiert worden

Am 29. Dezember 2020 sei es beim Umschalten auf ein Notstromsystem zu einem Druckabfall gekommen, worauf sich 2,7 Tonnen Löschschaum auf dem Areal verteilten. Rund 850 Kilogramm davon seien durch einen defekten Schieber über eine Meteorleitung in die Goldach und weiter in den See gelangt. Zwei Wochen später habe ein zweiter Vorfall weitere 60 Kilogramm in die Umwelt gespült. Beide Male sei niemand alarmiert worden. Ein Fischereiaufseher habe den Schaum entdeckt und Behörden verständigt.

Das sagt Amcor

Eine Amcor-Sprecherin räumt gegenüber CH Media ein, dass mehrere Umweltzwischenfälle auf interne Prozessfehler zurückzuführen seien, nicht aber auf absichtliche Regelverstöße. Das Unternehmen betont, dass die Vorfälle nicht den eigenen Standards entsprachen, und verweist auf seine lange regionale Verwurzelung und Umweltverantwortung. Als Reaktion seien interne Abläufe verschärft und über drei Millionen Franken, rund 3,2 Millionen Euro, in Sicherheitsmaßnahmen am Standort Rorschach investiert worden. Dazu gehören eine neue Brandbekämpfungsanlage, ein modernes Notfall-Ablasssystem, ein kontinuierliches Wasserkontrollsystem, Überwachungskameras und Schulungen. Trotz dieser Maßnahmen sei es 2024 erneut zu einem Unfall gekommen – Amcor widerspricht jedoch der Behauptung, man habe die Behörden nicht informiert.

Laut den nun veröffentlichten Akten habe der Milliardenkonzern Amcor den Einsatz des PFOS-haltigen Schaums schon 2019 infrage gestellt, ihn jedoch nicht ersetzt – trotz abgelaufener Übergangsfrist. Ein internes E-Mail zeige, dass ein Austausch gezielt hinausgezögert werden sollte. Der Kanton habe eine Verlängerung klar abgelehnt. Erst nach den Unfällen sei der Schaum entfernt worden.

Trinkwasser sei erst 2022 untersucht worden

Amcor habe die gesetzlich vorgeschriebenen Störfallberichte laut CH Media verspätet eingereicht. Ein externer Berater habe die Umweltfolgen zunächst mit null bewertet. Hinweise auf PFOS habe die Firma bei der Entsorgung verschwiegen – erst Analysen des Amts für Umwelt hätten die massiven Grenzwertüberschreitungen gezeigt. PFOS kann im Wasser nicht herausgefiltert werden.

Das Trinkwasser sei erst 2022 untersucht worden. Die gemessenen Werte hätten unter den Grenzwerten gelegen. In vier von neun Hechtproben aus dem Bodensee sei der zulässige Höchstwert für PFOS aber überschritten worden. Auswirkungen auf Pflanzen und Mikroorganismen seien nicht geprüft worden.

Strafe von rund 5.400 Euro

Die Staatsanwaltschaft St. Gallen verhängte 2022 eine Strafe von 5.000 Franken, rund 5.400 Euro. Auf ein Verfahren gegen Einzelpersonen verzichtete sie. Kritiker sehen darin ein Entgegenkommen der Behörden gegenüber des Konzerns. CH Media klagte auf Akteneinsicht – mit Erfolg. Das Bundesgericht stellte ein überwiegendes öffentliches Interesse fest.

Amcor teilte mit, man bedauere die Freisetzung von 7,2 Kilogramm PFOS. Die Vorfälle seien auf interne Fehler zurückzuführen. Man habe über drei Millionen Euro in Sicherheitssysteme investiert. Dennoch sei es 2021 und 2024 erneut zu Vorfällen gekommen – zuletzt mit ausgelaufenem Lack. Auch in diesem Fall sei nicht Amcor, sondern eine Drittperson an die Polizei gelangt. Ein neues Akteneinsichtsgesuch habe die Konzernanwaltschaft mit einem 220-seitigen Schreiben abwehren wollen.

{title && {title} } red,20 Minuten, {title && {title} } 12.04.2025, 16:24
Weitere Storys