Gesundheit

Giovanni kann nicht arbeiten – wegen einem Haar im Po

Ein eingewachsenes Haar veränderte das Leben eines jungen Mannes über Nacht: Seit vier Jahren ist er arbeitsunfähig, kann er kaum noch sitzen.

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Der 29-jährige Giovanni hat ein entzündetes eingewachsenes Haar, das ihm das Leben schwer macht.
Der 29-jährige Giovanni hat ein entzündetes eingewachsenes Haar, das ihm das Leben schwer macht.
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"Mein Leben hat sich über Nacht komplett verändert. Vor sechs Jahren bin ich schweißgebadet aufgewacht und hatte höllische Schmerzen. An der Innenseite der linken Pobacke war irgendwas – der Schmerz war kaum auszuhalten und als es immer schlimmer wurde, rief ich eine Kollegin an, die mich sofort in die Notaufnahme fuhr", erzählt Giovanni. Noch in derselben Nacht wurde klar, was los war: Ein eingewachsenes Haar war schuld! Genauer ein Fistelgang war es, der diese unglaublichen Schmerzen an der Pobacke des heute 29-Jährigen verursachte.

"Am Tag darauf wurde ich operiert, da sich ein Abszess gebildet hatte. Nach der OP durfte ich nach Hause, doch die Schmerzen blieben." Die Schwierigkeiten häuften sich: Der junge Mann wurde zwei weitere Male operiert – ohne Erfolg. "Auch eine Fadendrainage, die bewirkt, dass das Eitersekret auslaufen kann, wurde gemacht. Dieser Eingriff hilft zwar, jedoch muss ich die Drainage immer wieder auswechseln lassen."

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    Seit vier Jahren kann der 29-jährige Giovanni nicht mehr arbeiten. Es ist so schlimm, dass er seit knapp einem Jahr nicht mal mehr sitzen kann.
    Seit vier Jahren kann der 29-jährige Giovanni nicht mehr arbeiten. Es ist so schlimm, dass er seit knapp einem Jahr nicht mal mehr sitzen kann.
    Privat

    "Ich wollte nur, dass dieser Albtraum aufhört"

    Drei Jahre lang hatte litt Giovanni ununterbrochen an Schmerzen. "Ich wollte aber nicht aufgeben und suchte nach neuen Behandlungsmethoden." In einem anderen Spital wurde dann eine Darmspiegelung vorgenommen, bei der Feigwarzen gefunden wurden. "Das ist wie Herpes, aber halt im Po. Als ob die Fistel nicht reichen würde! Ich konnte mein Pech kaum fassen." Ab diesem Zeitpunkt mussten in erster Linie die Feigwarzen behandeln werden – denn im schlimmsten Fall könnten diese zu Analkrebs führen. "Ich war richtig geschockt. 'Muss ich jetzt mit einer Chemotherapie beginnen?', fragte ich mich. Ich wollte nur, dass dieser Albtraum aufhört. All das nur wegen eines eingewachsenen Haares!"

    Trotz Medikamente spürt Giovanni den Schmerz wegen der entzündenden Fistel, der ihn erheblich einschränkt. "Das Sitzen ist kaum mehr möglich, ich sitze seit einem Jahr kaum noch. Für mich gibt es eigentlich nur stehen oder seitwärts liegen. Auch das Spazieren fällt mir schwer, meine Bewegungen müssen sehr langsam sein. Ich muss im Alltag übervorsichtig sein, damit ich nichts überreize." Seinen Beruf als Kinderbetreuer kann der 29-Jährige seit vier Jahren nicht mehr ausüben. "Weil ich dort dauernd präsent sein und viel Kraft aufwenden müsste und das geht einfach nicht mehr. Ich fühle mich schrecklich, weil ich arbeiten will, aber es einfach nicht kann und deshalb auf Hilfe angewiesen bin."

    Es gebe zwar eine entzündungshemmende Behandlung, bei der die Wunde ausgespült wird und die er sein Leben lang anwenden müsse, aber keine wirkliche Heilung und deshalb auch keine Aussicht auf Besserung seiner Lebensqualität.

    "Habe ich es verdient, zu leiden?"

    Das hat sich auch in seiner Psyche festgesetzt: "Ich habe unglaubliche Angst, dass ich eine weitere Fistel bekommen könnte und denke ständig daran. Jedes Mal, wenn ich ein Zwicken in der Analregion verspüre, breitet sich Unruhe in mir aus und ich denke: 'Oh Gott, bitte nicht noch eine Fistel!' Das alles nimmt mich nicht nur körperlich mit, sondern auch seelisch. Am Anfang war es sehr schlimm für mich, weil alle meine Freunde beispielsweise zusammen in die Ferien geflogen sind und ich wegen der Schmerzen zu Hause bleiben musste. Noch viel schlimmer war aber, als ich von ihnen gar nicht mehr für die nächsten Treffen berücksichtigt wurde, weil sie meine Krankheit genervt hat."

    Daniel Steinemann, Leitender Arzt Viszeralchirurgie bei Clarunis Basel, steht Rede und Antwort:
    Herr Steinemann, was soll man bei einem eingewachsenen Haar tun?
    Solange es nicht schmerzt, muss man nichts machen. Auf keinen Fall sollte man mit der Pinzette oder sonst irgendwie versuchen, das Haar herauszuziehen – das könnte zu einer Entzündung führen.
    Was aber, wenn es schmerzt?
    Wenn es zu Schwellungen und Schmerzen kommt, oder wenn Eiter oder Blut aus der Wunde austritt, sollte man sich an eine Fachperson wenden. Am besten geht man zu einem Proktologen oder zu einer Proktologin.
    Wie sieht dann die Behandlung aus?
    Je nach Größe der entzündeten Stelle, ist die Behandlung unterschiedlich. Die Fistel, also das eingewachsene Haar, kann man grundsätzlich leicht rausschneiden oder weglasern.
    Bei Giovanni nützte das nichts…
    Da die Zone rund um die Pospalte sehr behaart ist, kann es vor allem bei jungen Männern unter 40 Jahren immer wieder auftreten. Ich kann aber beruhigen: Die Chance, dass das eingewachsene Haar komplett verschwindet, liegt bei 90 Prozent. Giovannis Fall ist tatsächlich sehr selten.

    Immer wieder stellt sich der junge Mann die selben Fragen: "Warum ist gerade mir das alles passiert? Habe ich ein schlechtes Karma, habe ich es einfach verdient, zu leiden? Eigentlich weiß ich, dass ich mich weder schämen noch verstecken muss. Es ist eine Krankheit. Punkt. Ich bin nicht schuld, ich habe nur Pech. Indem ich offen über meine Geschichte rede, will ich ein Vorbild für andere sein. Analfisteln und Feigwarzen – wer spricht schon gerne darüber? Diese Scham will ich anderen nehmen. Denn mir tut es so gut, darüber zu reden! Wenn ich es geschafft habe, mein Schicksal zu verarbeiten und im Jetzt zu leben – dann können das auch andere."

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