Venezolaner verzweifelt

Hilferuf aus US-Schubhaft: "Sind keine Gang-Mitglieder"

Sie flohen vor der Diktatur in ihrer Heimat. Unter dem Vorwand von Gang-Mitgliedschaften droht nun hunderttausenden Venezolanern die Abschiebung.
Nick Wolfinger
14.05.2025, 12:30
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Hunderte Venezolaner sitzen seit Wochen im Bluebonnet Detention Center im Westen von Texas in Schubhaft. Ihnen wird von der Trump-Regierung vorgeworfen, Mitglieder der per Dekret zur Terrororganisation erklärten Gang Tren de Aragua zu sein. Doch Nachforschungen von Journalisten und Menschenrechtsorganisationen zeigen, dass viele der Inhaftierten ganz legal im Land waren und keine Vorstrafen aufweisen.

Angst vor Abschiebung nach El Salvador

Bei einem Drohnenflug der Nachrichtenagentur Reuters über das im Tagesschnitt 846 Insassen zählende Deportationszentrum in Anson, gut 344 Kilometer westlich von Dallas, formten einige der Häftlinge ein riesiges "SOS"-Zeichen. Ihnen droht nämlich die Abschiebung in das berüchtigte Hochsicherheitsgefängnis CECOT in El Salvador, wo 24 Stunden am Tag grelles Neon-Licht brennt und die Männer in großen Schlafsälen auf "Betten" aus nacktem Beton schlafen müssen – sofern sie können.

Mit diesen Bildern vom 12. April 2025, die die Ankunft von angeblichen Gang-Mitgliedern aus den USA im Hochsicherheitsgefängnis CECOT in El Salvador zeigt, versetzte die Trump-Regierung Migranten in den USA in Panik – und erntete bei seinen Wählern viel Jubel
via REUTERS

Unglaubliche 40.000 Häftlinge soll das Zentrum fassen können – ein Mega-Geschäft für die Regierung von El Salvador, die pro Häftling und Jahr mindestens 20.000 Dollar aus den USA erhält.

US-Heimatschutzministerin Kristi Noem posierte im März bei einem Besuch von CECOT in El Salvador vor Häftlingen, die wie Tiere in großen Käfigen gehalten werden
via REUTERS

Das Geschäft mit der Haft

Im März wurden die ersten 238 in den USA festgenommenen Venezolaner per Militärflugzeug in dieses Gefängnis gebracht. Ob die Insassen tatsächlich Gangmitglieder sind, interessiert dabei in Wahrheit niemanden. Ein Gerichtsverfahren gab es für keinen der Inhaftierten. Das ist aufgrund der Reaktivierung des "Alien Enemies Act" von 1798 (!), einem Kriegsgesetz, legal.

Für US-Präsident Trump ist jeder, den die Abschiebebehörde ICE in die Finger kriegt, automatisch ein Verbrecher. Bekanntestes Beispiel ist der 29-jährige Kilmar Ábrego García, der trotz Unbescholtenheit und gerichtlicher Anordnung für eine Rückführung in die USA weiterhin in El Salvador eingesperrt ist.

Und El Salvador interessiert sich lediglich für die zusätzlichen Einnahmen. Sechs Millionen Dollar zahlten die USA an das mittelamerikanische Land allein für die erste Gruppe an überstellten Venezolanern. Weitere 15 Millionen Dollar an US-Geldern sind bereits freigegeben.

Gang-Mitglied oder Gastarbeiter?

Tatsächlich scheinen viele Schubhäftlinge in den USA einfach nur gearbeitet zu haben. Sie waren vor der brutalen Diktatur des Sozialisten Nicolas Maduro in die USA geflohen, erhielten unter Präsident Biden humanitären Schutz. Trump, der die Wahlen auch dank vieler Stimmen von Hispanics erhalten hat, hob diesen Schutz auf. 600.000 Venezolaner sind betroffen. Sie alle müssen jederzeit befürchten, in Schubhaft genommen zu werden.

Diover Millan (r.) im Dezember 2024 auf einer Baustelle in Atlanta, Georgia
FAMILY via REUTERS

Unter den Insassen von Bluebonnet befindet sich auch der 24-jährige Diover Millan. Er wurde am 12. März in Dallas von ICE-Beamten festgenommen. Er war dort im Baugewerbe tätig. Das Heimatschutzministerium behauptet, Millan sei ein "dokumentiertes Mitglied von Tren de Aragua". Die Nachrichtenagentur Reuters konnte bei Recherchen in seinen Akten jedoch keine Vorstrafen finden. "Er ist verzweifelt", erzählt Millans Frau der Agentur.

Auch ausgebildeter Polizist unter Inhaftierten

Ein anderer Insasse, Jeferson Escalona Hernandez (19), erzählt Reuters in einem Telefoninterview "Ich fürchte hier um mein Leben". Er wolle sogar freiwillig nach Venezuela zurückkehren, doch er sitzt in der Anstalt fest. Auch ihm wird die Mitgliedschaft in einer Gang vorgeworfen, was er als absurd zurückweist: "Sie erheben falsche Anschuldigungen gegen mich (…) Ich gehöre keiner Gang an." Vor seiner Auswanderung in die USA habe er sogar eine Polizeiausbildung abgeschlossen. Seine Familie zeigt ein Foto von ihm in einer Ausbildungsuniform der venezolanischen Polizei.

Hernandez (r.) beim Abschluss seiner Polizeiausbildung in Venezuela
IBETH HERNANDEZ via REUTERS

Willkürliche Festnahmen

Die Festnahmen erfolgen häufig aufgrund von (oft harmlosen) Tattoos oder missverstandenen Gesten, die von ICE-Beamten – ob aus Unkenntnis oder Gleichgültigkeit, sei dahingestellt – als "Beweis" für Gangmitglieschaften betrachtet werden. Da sie kein Recht auf einen Anwalt oder eine Anhörung vor Gericht haben, können sie sich auch nicht verteidigen.

Zumindest diesen Punkt hat der Oberste Gerichtshof der USA (Supreme Court) in Washington D.C. am 19. April für unzulässig erklärt. Nach einer Sammelklage der American Civil Liberties Union (ACLU, Amerikanische Bürgerrechtsvereinigung) darf nun keiner der Insassen des Internierungslagers in Texas nach El Salvador abgeschoben werden, bis ihre Einzelfälle vor Gericht geprüft wurden.

{title && {title} } NW, {title && {title} } 14.05.2025, 12:30
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