Minutenlang reagiert der Co-Pilot nicht. Der Kapitän steht vor der Cockpit-Tür, gibt mehrfach den Code ein, ruft über die Sprechanlage – nichts. Erst als er den Notfallzugang aktiviert, wird die Tür entriegelt. Drinnen sitzt sein Kollege, blass, schweißgebadet, kaum ansprechbar. Was wie ein Routineflug begann, wird zur ernsten Gefahrensituation über den Wolken.
Der Vorfall ereignete sich laut dem "Aerotelegraph" am 17. Februar 2024 auf einem Lufthansa-Flug vom deutschen Frankfurt nach Sevilla in Spanien. Der Kapitän des Airbus A321 hatte um 10.31:30 Uhr UTC das Cockpit verlassen, um die Toilette aufzusuchen. Zu diesem Zeitpunkt schien beim Co-Piloten alles in Ordnung. Doch bereits wenige Sekunden später, so der Abschlussbericht der spanischen Flugunfalluntersuchungsbehörde CIAIAC, wurde der 38-Jährige "plötzlich und schwer handlungsunfähig". Der Stimmenrekorder zeichnete verdächtige Geräusche auf, die auf unkontrollierte Bewegungen hindeuten.
In den folgenden 46 Sekunden betätigte der Co-Pilot ungewollt mehrere Steuer- und Schaltelemente. Dabei kam es unter anderem zur Auslösung der Warnmeldung "STOP RUDDER INPUT" sowie zur Aktivierung der Master Warning. Auch der Betriebsmodus des Wetterradars wurde unbeabsichtigt verändert. Trotzdem hielten Autopilot und automatische Schubregelung die Flugroute stabil.
Als der Kapitän zurückkehrte, reagierte sein Kollege auf keine der fünf Versuche, die Tür zu öffnen. Auch ein Anruf über die Sprechanlage um 10.40:47 Uhr blieb ohne Antwort. Erst nachdem der Kapitän den Notfallcode eingab, öffnete sich die Tür – der Co-Pilot hatte sie noch vor Ablauf der Sicherheitsverzögerung selbst entriegelt. Um 10.42:04 Uhr betrat der Kapitän wieder das Cockpit und übernahm die Kontrolle.
Der Co-Pilot wirkte desorientiert, schwitzte stark und zeigte auffällige Bewegungen. Er wurde von der Kabinencrew in die Bordküche gebracht, dort erstversorgt und anschließend von einem mitreisenden Arzt behandelt. In der Folge kehrte er nicht mehr ins Cockpit zurück. Der Kapitän leitete eine Umleitung ein und landete die Maschine rund 20 Minuten später sicher in Madrid.
Im Spital wurde eine neurologische Erkrankung diagnostiziert, die bislang unentdeckt geblieben war. Der epilepsieähnliche Anfall sei plötzlich aufgetreten und wäre nur dann bei einer medizinischen Untersuchung erkennbar gewesen, wenn bereits zuvor Symptome aufgetreten wären. Die Erkrankung schließt laut Bericht eine Flugtauglichkeit aus.
Die CIAIAC empfiehlt, eine weitere autorisierte Person ins Cockpit zu lassen, wenn einer der beiden Piloten dieses verlässt. "Die Anwesenheit einer weiteren autorisierten Person hätte dazu beigetragen, die Handlungsunfähigkeit des Co-Piloten schnell zu erkennen, die restliche Besatzung zu alarmieren und die Sicherheitstür im Cockpit zu öffnen, um dem Kapitän einen schnellen Zugang und die Übernahme der Kontrolle über das Flugzeug zu ermöglichen", so der Bericht.
Die spanische Behörde rät der europäischen Luftfahrtagentur EASA, diesen Vorfall an Fluggesellschaften weiterzugeben, damit sie ihre Risikoanalysen für vergleichbare Situationen überprüfen.