Was sind Kartoffeln eigentlich? Diese Frage stellte sich eine Gruppe von Wissenschaftlern, die jetzt die Entstehung eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel der Welt ergründet hat. Die stärkehaltigen Knollen gelangten im 16. Jahrhundert aus Südamerika nach Europa, und wurden bald rund um den Globus angebaut. Auch aus der österreichischen Küche sind Erdäpfel nicht mehr wegzudenken.
Die Entstehung der Grundbirnen gab aber bislang Rätsel auf. Denn im Gegensatz zu unserer Kartoffel sind ihre Vorgänger namens Etuberosum, wie auch der wissenschaftliche Name verrät, völlig knollenlos. Obwohl sich beide Pflanzen oberirdisch zum Verwechseln ähneln, sind Kartoffeln genetisch enger mit Tomaten verwandt.
Jetzt ist klar, wieso: Erdäpfel sind Kinder von Paradeisern und Etuberosum!
"Wir haben endlich das Rätsel gelöst, woher die Kartoffeln kommen. Die Tomate ist die Mutter und Etuberosum der Vater", erklärt Forschungsleiter Sanwen Huang, Professor am Institut für Agrar-Genomik im chinesischen Shenzhen.
So offensichtlich war dies vor Beginn der Forschung aber nicht: "Sie gehören zusammen mit Melanzani und Tabak zur selben Pflanzenfamilie, aber Tomate, Kartoffel und Etuberosum sind sich genetisch am nächsten. Also beschlossen wir, genauer nachzusehen."
Das Team analysierte dafür die Genome von 450 Kultivaren und 56 Wildsorten von Erdäpfeln. So entdeckten sie zwei Gene, die für die Knollenbildung entscheidend sind: SP6A kommt in der Tomate vor und IT1 in Etuberosum.
Keines der beiden Gene ist für sich allein ausreichend, berichten die Forscher in ihrer Publikation in "Cell". Aber wenn sie sich, wie erstmals vor etwa 8,6 Millionen Jahren, in Solanum sect. Petota vereinen, bilden die unterirdischen Pflanzenteile plötzlich schmackhafte Knollen.
Die zufällig entstandenen Knollen waren für die neuen Petota-Pflanzen ein riesiger Vorteil: Sie konnten damit Energie speichern, um Winter und Trockenheit zu überstehen. Gleichzeitig eröffneten sie eine neue Art der Vermehrung ohne Samen oder Bestäuber.
Das half der Pflanze, sich in ihrem gleichzeitig schnell verändernden Lebensraum der sich aufwerfenden Anden (etwa vor 6-10 Millionen Jahren) zu etablieren – und führte zu einer Explosion an Artenvielfalt. Die in unserer industriellen Landwirtschaft genutzte Kartoffel Solanum tuberosum ist nur eine der rund 200 heute bekannten Petota-Arten.
"Die Studie ist bahnbrechend. Sie zeigt, wie ein Hybridisierungsereignis die Entstehung eines neuen Organs auslösen kann – und sogar zu einer neuen Abstammung mit vielen Arten führen kann", wird Evolutionsbiologe James Mallet von der Harvard University durch den britischen "Guardian" zitiert.
Brett Summerell vom Botanischen Garten in Sydney, Australien, zeigte sich in einer Reaktion in "NewScientist" ebenfalls begeistert: Es würden bisher fehlende Belege für die Hybridisierung und die anschließende Artenausbreitung geliefert.
"Die Studie unterstreicht auch, wie wichtig es ist, verwandte Wildpflanzenarten zu schützen, um besser zu verstehen, wie sich wichtige Nutzpflanzen entwickelt haben und wie sie sich wahrscheinlich an künftige Herausforderungen anpassen werden", sagt Summerell.
Sandra Knapp, Botanikerin am Natural History Museum in London und korrespondierende Autorin der Studie, betont die Signifikanz solcher Ereignisse: "Es führte zu einer Neuordnung der Gene, so dass die neue Linie Knollen produzierte, was es diesen Pflanzen ermöglichte, sich in den neu geschaffenen kalten, trockenen Lebensräumen in den aufsteigenden Anden auszubreiten."
Es zeige auch, dass die Hybridisierung eine "starke Kraft in der Evolution der Vielfalt" sei, so Knapp weiter. Letztere ist in Europa nie wirklich angekommen: "Die indigenen Völker in den Anden haben Hunderte von Kartoffelsorten. In Europa haben wir vielleicht fünf – alle von der Art Solanum tuberosum."
Und: "Die Teile der Tomate und der Kartoffel, die wir essen, sehen zwar unterschiedlich aus, aber die Pflanzen selbst sind sich ziemlich ähnlich", sagt die Nachtschatten-Expertin. "Wenn man mit Glück eine Kartoffelpflanze erwischt, die Früchte trägt, ist das eine grüne, tomatenähnliche Beere – aber essen sollte man diese nicht, sie schmeckt furchtbar."
Genau da will das Studien-Team rund um Professor Sanwen Huang ansetzen. Sie arbeiten nach eigenen Angaben bereits an Projekten, die neue Super-Pflanzen hervorbringen sollen:
Zum einen wollen sie Kartoffeln dazu bringen, zuverlässig Früchte zu bilden, um sich auch durch Samen zu vermehren. Und zum anderen wollen sie bei Paradeisern die Grenzen des Machbaren austesten: "Wir setzen IT1 und andere notwendige Gene aus der Kartoffel in die Tomate ein, damit sie Knollen bilden kann."