Rund 70 Erdbeben werden in Österreich jedes Jahr von der Bevölkerung als ein deutliches Rütteln verspürt. In der Regel bleibt es dabei, statistisch kommt es alle zwei bis drei Jahre auch mal zu leichten Gebäudeschäden.
Jenes Beben, das am 28. März 2025 um 12.50 Uhr Ortszeit das südostasiatische Myanmar traf, war ein gänzlich anderes Kaliber. Mit Stärke 7,7 richtete es großflächig schwere Schäden an, Betonbauten stürzten wie Kartenhäuser in sich zusammen. Noch Monate später wurden Tote geborgen, am Ende waren es mehr als 5.300.
Eine Videoaufnahme einer Überwachungskamera zeigt den schockierenden Moment des Bebens in aller Deutlichkeit: Ein ganzer Hang wird um mehrere Meter verschoben, Straßen zerrissen. Der nur 26 Sekunden lange Clip fand danach seinen Weg auf YouTube, wurde dort millionenfach aufgerufen.
Dort wurde es auch von den Geophysikern Jesse Kearse und Yoshihiro Kaneko von der Universität Kyoto, Japan, entdeckt. Sie wussten gleich, dass es sich dabei um ein einmaliges Zeitdokument handelte. Es lieferte den ersten direkten visuellen Beweis für die Entstehung einer gekrümmten Verwerfung.
Noch nie zuvor konnte eine solche in Bewegung beobachtet werden. "Ich habe das Video ein oder zwei Stunden nach dem Hochladen auf YouTube gesehen, und es lief mir sofort ein kalter Schauer den Rücken herunter", erinnert sich Kearse gegenüber der Seismologischen Gesellschaft Amerikas. "Es zeigt etwas, das, glaube ich, jeder Erdbebenforscher unbedingt sehen wollte, und es war genau da, also sehr aufregend."
Und: "Anstatt sich gerade über den Bildschirm zu bewegen, bewegten sie sich entlang eines gekrümmten Pfades, der eine Konvexität nach unten aufweist, was bei mir sofort die Alarmglocken läuten ließ", sagte Kearse.
Er hatte sich schon bei seinen früheren Forschungen speziell mit sogenannten Harnischen befasst. In der Geologie bezeichnet das Wort keine mittelalterliche Rüstung sondern Bewegungsspur auf einer Verwerfungsfläche. Sie entstehen, wenn Gesteinsschichten gegeneinander reiben. Aus den Kratzern lassen sich Richtung und Art der Scherbewegung rekonstruieren.
Das Video aus Myanmar beweist nun, dass diese Blattverschiebung nicht gleichmäßig abläuft. In ihrer extrem detaillierten Analyse der Aufnahme hatten Kearse und Kaneko die Erdbewegung Pixel für Pixel, Bild für Bild, rekonstruiert. Das Ergebnis: Innerhalb von nur 1,3 Sekunden wurde der Boden entlang der Verwerfungslinie um 2,5 Meter verschoben. Das entspricht einer Spitzengeschwindigkeit von etwa 3,2 Metern pro Sekunde.
Auch zu sehen: Während der Beschleunigungsphase krümmt sich der Bruch, erst später wird die Bewegung linear.
Die Forscher vermuten, dass die Krümmung durch unterschiedlich wirkende Spannungen der heranrauschenden Erdbebenwelle in den Bodenschichten entsteht. Das Aufbrechen der Verwerfung an der Erdoberfläche könne eine Schrägstellung der Bewegungsrichtung bewirken. "Diese vorübergehenden Spannungen bringen die Verwerfung anfangs von ihrem eigentlichen Kurs ab", erklärt Kearse.
Er und Kaneko hoffen, dass ihre Arbeit helfen wird, die Dynamik von Erdbeben besser zu verstehen und so Risiken besser abschätzen zu können.