Die Spannungen zwischen Indien und Pakistan haben sich verschärft: Am Dienstag eröffneten Attentäter in einem beliebten Ausflugsgebiet nahe der Stadt Pahalgam im von Indien kontrollierten Teil der Unruheregion Kaschmir das Feuer auf Touristen. 27 Menschen starben, 17 wurden verletzt. Es war der folgenschwerste Angriff in Kaschmir seit mehr als 20 Jahren.
Die Gruppe The Resistance Front (TRF) reklamierte die Tat für sich. Dabei soll es sich um eine Splittergruppe der sowohl in Indien als auch in Pakistan verbotenen islamistischen Terrororganisation Lashkar-e-Taiba (LeT) handeln. LeT wird unter anderem für eine Anschlagsserie in der indischen Wirtschaftsmetropole Mumbai im November 2008 verantwortlich gemacht.
Indien beschuldigt Pakistan, hinter der Tat zu stecken, präsentierte dafür aber keine Belege. Pakistans Verteidigungsminister Khwaja Asif hatte nach dem Anschlag im pakistanischen Fernsehen gesagt, die Regierung seines Landes habe mit der Tat nichts zu tun.
1947 entließ Großbritannien den Subkontinent in die Unabhängigkeit. Der hinduistische Maharadscha des mehrheitlich von Musliminnen und Muslimen bewohnten Fürstenstaats Kaschmir und Jammu wollte sich weder Indien noch Pakistan anschließen. Ein von Pakistan unterstützter Aufstand führte allerdings dazu, dass sich Kaschmir und Jammu im Herbst 1947 Indien anschloss.
Daraufhin brach der Erste Indisch-Pakistanische Krieg aus, der 1949 mit einem Waffenstillstandsabkommen endete. 1965 und 1999 kam es zu weiteren Kriegen, da beide Länder das Gebiet, von dem sie jeweils einen Teil kontrollieren, vollständig für sich beanspruchen. Indien und Pakistan verfügen beide über Atomwaffen.
Indien hat eine halbe Million Soldaten in der Region stationiert und geht dort seit 1989 gegen Rebellengruppen vor. Diese fordern entweder einen unabhängigen Staat oder einen Anschluss an Pakistan. Der Konflikt hat Zehntausende Menschen das Leben gekostet. Die indische Regierung beschuldigt Pakistan regelmäßig, in Kaschmir bewaffnete Aufständische zu unterstützen, was die Regierung in Islamabad zurückweist.
Der indische Teil wurde 2019 von der Regierung von Premierminister Narendra Modi in zwei Unionsterritorien – Jammu und Kaschmir sowie Ladakh – aufgeteilt und damit stärker unter die Kontrolle der Zentralregierung in Neu-Delhi gebracht. Pakistan hatte die Aufhebung der Teilautonomie als illegal bezeichnet. Viele muslimische Einwohner Kaschmirs betrachten den Aufstand von Extremisten gegen Indien als Freiheitskampf.
Indien hat die Ausreise pakistanischer Bürger aus seinem Staatsgebiet angeordnet. Zudem reduzierte Neu-Delhi die Zahl diplomatischer Mitarbeiter im Nachbarland und schloss den einzigen funktionsfähigen Landübergang zwischen den beiden Staaten.
Die gewichtigste Maßnahme ist die Außerkraftsetzung des Indus-Wasservertrags. Der 1960 von der Weltbank ausgehandelte Vertrag sieht die gemeinsame Nutzung des Flusssystems vor, das für beide Länder – insbesondere für die pakistanische Landwirtschaft – eine Lebensader darstellt. Bisher hat der Vertrag jeden Konflikt überstanden. Indien will das Wasserabkommen aussetzen, "bis Pakistan glaubwürdig und endgültig seine Unterstützung für grenzüberschreitenden Terrorismus einstellt".
Islamabad reagierte seinerseits mit einer Annullierung von Visa für indische Staatsangehörige und wies Diplomaten des Landes aus. Pakistan schloss zudem seinen Luftraum für alle Fluggesellschaften in indischem Besitz oder Betrieb und setzte den Handel mit Indien aus, auch über Drittländer.
Die Regierung in Islamabad teilte zudem mit, jeder Versuch Indiens, durch ein Aussetzen des Wasserabkommens die pakistanischen Wasserressourcen zu gefährden, werde als Kriegshandlung betrachtet "und mit dem gesamten Spektrum der nationalen Macht beantwortet werden".
In der Nacht zum Freitag lieferten sich indische und pakistanische Soldaten einen Schusswechsel im Leepa-Tal an der durch Kaschmir verlaufenden Kontrolllinie. Die Lage ist also sehr angespannt. Der pakistanische Senat wies Vorwürfe Indiens zurück, Pakistan sei für den Anschlag mitverantwortlich und erklärte, das Land sei "bereit, seine Souveränität zu verteidigen".
In Indien wächst inzwischen die Sorge, das Militär des Landes könnte unter anderem vermutete Basen von Terrorgruppen auf pakistanischem Boden oder andere Ziele angreifen. Der indische Premierminister Narendra Modi hatte am Vortag erklärt, Indien werde die Verantwortlichen des Angriffs "bis ans Ende der Welt verfolgen" und "alle Terroristen und deren Unterstützer bestrafen".
Der Südasien-Experte Michael Kugelman sieht deutliche Zeichen einer neuen Eskalationsstufe. "Die Bedeutung der Aussetzung des Indus-Wasservertrags kann kaum überschätzt werden", schreibt Kugelman auf der Online-Plattform X. Praveen Donthi, Analyst der International Crisis Group, erklärte zudem: "Dieser Angriff wird die Beziehungen in die dunklen Tage zurückversetzen."
Angesichts der Eskalation rief die UNO Indien und Pakistan zur Zurückhaltung auf. "Wir appellieren an beide Regierungen, grösstmögliche Zurückhaltung zu üben und sicherzustellen, dass sich die Situation und die Entwicklungen, die wir gesehen haben, nicht weiter verschlechtern", sagte UN-Sprecher Stéphane Dujarric in New York. Die Probleme zwischen Pakistan und Indien sollten und könnten friedlich gelöst werden, mahnte er.