Interview

Kunstfehler – Dafür muss der Arzt geradestehen

Gehen medizinische Behandlungen anders aus als erwartet, steht oft der Verdacht eines Kunstfehlers im Raum. "Heute" sprach mit einer Richterin.

Heute Life
Kunstfehler – Dafür muss der Arzt geradestehen
Nicht immer, wenn eine Behandlung nicht wie erwartet ausgeht, ist der Arzt schuld.
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Das Universitätsklinikum AKH Wien und seine gemeinsam mit der MedUni Wien geführten Universitätskliniken gehören zu den besten Spitälern weltweit. Das ergab ein jüngst veröffentlichtes Ranking vom US-Nachrichtenmagazin Newsweek und dem Daten-Provider Statista. Das Spital am Währinger Gürtel belegt Platz 25 der 250 besten Spitäler auf der Welt. 

Dennoch kann es in jedem Spital und bei jedem Arzt passieren, dass es bei Behandlungen zu Fehlern kommt. Dann wird die Haftungsfrage relevant. Wofür muss der Arzt gerade stehen und wofür nicht? "Heute" sprach mit Richterin Mag. Inge Strebl, die solche Fälle seit fast 25 Jahren verhandelt.

Wie viele Klagen wegen medizinischen Kunstfehlern gibt es jedes Jahr?

Dazu gibt es keine genauen Statistiken. Wir haben Statistiken zu einlangenden Klagen, aber die sind nicht aufgesplittet in Ärztehaftung und andere Schadenersatzfälle. Deshalb gibt es dazu keine genauen Zahlen. Ich verhandle solche Fälle aber jetzt schon seit fast 25 Jahren. 

Welche medizinische Fachrichtung wird am häufigsten geklagt?

Aus meinen Erfahrungswerten sind es vor allem Fälle aus dem orthopädisch-chirurgischen Fach, der Zahnmedizin und zunehmend auch aus der Schönheitschirurgie.

Was versteht man unter medizinischer Haftung? 

Darunter versteht man Behandlungsfehler von Ärzten und medizinischem Personal im weiteren Sinn, etwa bei einer OP, aber z.B auch bei einem Krankentransport. Fehlleistungen können durch Tun (z.B. OP) oder Unterlassen (zu lange zugewartet mit Behandlung) passieren, eine Haftung kann auch durch mangelnde Aufklärung entstehen. 

Wann ist ein Arzt haftbar?

Ärzte haften für nicht den Erfolg einer Behandlung, sondern dass sie nach den Sorgfaltsmaßstäben des aktuellen medizinischen Wissensstandes handeln. Die Fehlerquelle ist breit gestreut und kann den gesamten medizinischen Behandlungsprozess betreffen: Das beginnt bei der Aufnahme der Krankengeschichte, der Befundung, dem Aufklärungsgespräch mit dem Patienten, den Eingriff, die Nachbehandlung und aber auch die Ratschläge mit denen der Patient nach Hause entlassen wird. Bei Behandlung sprechen wir nicht immer nur von Operationen. Das kann auch eine Physiotherapie oder Psychotherapie sein. 

In Österreich besteht die Verpflichtung zur lückenlosen Dokumentation einer Behandlung. Diese Dokumentation muss dem Patienten auf Verlangen auch ausgehändigt werden. Das macht ein Vertuschen sehr schwer bis unmöglich.
Mag. Inge Strebl
Richterin

Wo passieren die meisten Fehler?

Aus meiner Erfahrung gibt es zunehmend Fehler bei der medizinischen Aufklärung und auch Behandlungsfehler. Der Patient muss vor der Behandlung umfassend über mögliche Risiken und Komplikationen aufgeklärt werden, um sich dafür oder dagegen entscheiden zu können. Der Arzt ist verpflichtet, ihm diese Informationsgrundlage zu geben. 

Was zählt nicht als Kunstfehler?

Nicht immer, wenn die Behandlung nicht so verläuft wie erwartet, liegt auch ein Fehler vor. Es gibt schicksalshafte Wendungen bei einer Behandlung. Dann redet man von Komplikationen. Es kann also etwas schief gehen, obwohl der Arzt sorgfältig arbeitet – dann ist es eine Komplikation. Das kommt relativ häufig vor.

Bevor der Patient eine Einverständniserklärung vor einem Eingriff unterschreibt, muss er über die Risiken, die bei dem Eingriff – auch bei sachgemäßer Behandlung – passieren können, aufgeklärt werden. Beispiel: Verletzung der umliegenden Nerven bei einer Operation. Das kann jedem noch so gewissenhaftem Arzt passieren, gilt aber nicht als Kunstfehler, sondern als bekannte Komplikation. In diesem Fall haftet der Arzt nicht – sofern der Patient im Vorfeld darüber aufgeklärt wurde. Der Arzt haftet dann, wenn er, gemessen am Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen, sorgfältigen Arztes, einen Fehler gemacht hat. Ob so ein Fehler vorliegt, beantwortet vor Gericht ein unabhängiger Sachverständiger. Sein Gutachten ist maßgebend für das Urteil.

Werden viele Behandlungsfehler vertuscht?

Das kann ich nicht bestätigen. Man ist bemüht, die Mündigkeit der Patienten zu fördern. Die Spitäler haben ein großes Interesse daran, zum Beispiel fragwürdige Todesfälle aufzuklären. Zudem besteht in Österreich die Verpflichtung zur lückenlosen Dokumentation einer Behandlung. Diese Dokumentation muss dem Patienten auf Verlangen auch ausgehändigt werden. Das macht ein Vertuschen sehr schwer bis unmöglich.

Wir haben in Österreich einen sehr sehr hohen medizinischen Standard. Im Vergleich dazu, wie viel behandelt wird, passiert relativ wenig. Also man muss keine Angst haben, wenn man zum Arzt oder ins Spital geht.

Welche Konsequenzen hat so eine Klage für den Arzt?

Welche disziplinarrechtlichen Folgen der Behandlungsfehler für den Arzt hat, liegt nicht in der Hand des Gerichts, sondern in der der Ärztekammer. Die entscheidet etwa, ob der Arzt seine Zulassung verliert.

Wenn ein zivilrechtlicher Prozess so ausgeht, dass ein Vorwurf gegenüber einem Arzt oder Spitalerhalter berechtigt ist, dann wird der Beklagte zur Leistung von Schadenersatz verurteilt. Neben Verunstaltungsentschädigungen, Pflegeaufwand, Haushaltshilfeaufwand, Heilkosten ist Schmerzengeld das häufigste.

Auf den Punkt gebracht

  • Das Wiener AKH zählt zu den besten Kliniken weltweit laut einem kürzlich veröffentlichten Ranking, aber trotzdem können bei medizinischen Behandlungen Fehler auftreten, wobei die Frage der Haftung des Arztes relevant wird
  • Richterin Inge Strebl erklärt, dass Behandlungsfehler und mangelnde Aufklärung zu Haftungsfragen führen können, wobei ein unabhängiger Sachverständiger über das Vorliegen eines Fehlers entscheidet
  • Vertuschung von Behandlungsfehlern wird jedoch als unwahrscheinlich erachtet, da Spitäler zur lückenlosen Dokumentation verpflichtet sind
  • Trotzdem betont Strebl den hohen medizinischen Standard in Österreich und dass Patienten keine Angst vor medizinischen Behandlungen haben müssen
red
Akt.