Wer sich morgens vor dem Spiegel schminkt, tut das aus verschiedenen Gründen: Um wacher auszusehen, blöde Kommentare zu vermeiden, weil man sich so besser fühlt. Oder einfach, weil man das immer so macht. Make-up kann das Selbstbewusstsein stärken – und beeinflusst auch, wie wir von anderen wahrgenommen werden. Dr. Janek Lobmaier erklärt, warum viele Männer den "natürlichen Look" loben, ohne zu merken, dass auch der meist geschminkt ist.
"Make-up grundsätzlich, aber auch wie und wie viel man aufträgt, ist eine Art Trend. Was ich beobachte: Junge Frauen setzen heute vermehrt auf den natürlichen Look", so Lobmaier. "Der Fokus liegt darauf, die Haut gesund zu halten, anstatt Makel zu übermalen. So wie wir in einer anderen Epoche mit Make-up nachgeholfen haben, ein möglichst blasses Gesicht zu bekommen, weil es als schön galt."
In Trends und Gewohnheiten sieht der Experte auch den Grund dafür, dass Frauen, die der Generation der Millennials angehören, eher mal zu etwas mehr Make-up greifen. "Sicherlich spielt die Gewohnheit eine Rolle. Für viele ist der Ablauf am Morgen zu duschen, die Zähne zu putzen, dann folgt das Make-up. Man macht das, was man schon immer macht, weil man sich an das Spiegelbild gewöhnt hat, das einen danach anschaut."
Was man laut dem Experten nicht vergessen darf: "Make-up wird oft genutzt, um die weiblichen Attribute zu verstärken. Große Augen und weiche Lippen – Dinge, die man mit Schminke betonen und hervorheben kann – sind biologisch gesehen ein Zeichen von Jugendlichkeit. Das finden wir instinktiv attraktiv, weil es Fruchtbarkeit assoziiert – auch wenn heute natürlich niemand mehr bewusst nach der fruchtbarsten Frau Ausschau hält." Altern wir, wirken die Augen durch die Falten um sie herum kleiner, die Lippen werden mit weniger Kollagen in der Haut dünner. "Jugendlichkeit ist – auch wegen der damit verbundenen Fruchtbarkeit – immer noch ein wichtiges Attraktivitätsmerkmal, wenn auch unterbewusst. Mit Make-up kann man zu einem gewissen Grad gegensteuern."
Make-up – oder das, was es verstärkt – gefällt uns also unterbewusst instinktiv. Warum sagen dann alle Männer, die "20 Minuten" auf der Straße befragte, sie bevorzugen ungeschminkte Frauen? "Es geht um ehrliche Signale. Wenn Lippen sichtbar übermalt sind, fühlt man sich betrogen", so Lobmaier. Ist das Make-up aber so aufgetragen, dass es natürlich aussieht, bemerken es viele Männer nicht einmal mehr. "Hebt man die Attribute, die man ohnehin schon hat, mit Make-up hervor, funktioniert das meist sehr gut. Bei bunt geschminkten Augen wissen wir hingegen: Sie sind durch die Farbe so sichtbar gemacht."
Mit Wangenrouge oder auch rötlich geschminkten Lippen spielt noch ein anderer Instinkt eine Rolle: "Gerötete Wangen oder Lippen bekommen wir nicht nur durch Make-up, sondern auch bei sexueller Erregung. Unterbewusst assoziieren wir Paarungsbereitschaft und damit Attraktivität."
Eine große Rolle spielt aber nicht nur Make-up an sich: "So wie man sich selbst fühlt, gibt man sich nach außen. Ist jemand gewöhnt daran, ungeschminkt zu sein, treten er oder sie auch ohne Make-up selbstsicher auf", erklärt Lobmaier. "Andere, die daran gewöhnt sind, täglich geschminkt zu sein, fühlen sich ohne Make-up oft nackt. Das schlägt sich in der Ausstrahlung nieder." Gleichzeitig gibt Dr. Lobmaier zu bedenken: "Sehr junge Mädchen, die sich mit 12 oder 13 schon schminken, wollen damit auch etwas ausdrücken und reifer wirken – oft fühlen sie sich dann auch entsprechend." Es geht also nicht immer um den Look an sich, sondern um die Wahrnehmung von sich selbst – und der damit verbundenen Wirkung nach außen.