Folgen für Österreich

"Wird mit Wasser eng" – Alpen-Kipppunkt überschritten

Die Alpen-Gletscher werden bald ganz verschwunden sein – und mit ihnen ein guter Teil des heimischen Wasserschatzes. Das wird deutliche Folgen haben.

Roman Palman
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    So kennt kein lebender Mensch mehr die Pasterze. Die Farblithographie entstand um <strong>1880</strong> und zeigt den riesigen Gletscher und das Glocknerhaus.
    So kennt kein lebender Mensch mehr die Pasterze. Die Farblithographie entstand um 1880 und zeigt den riesigen Gletscher und das Glocknerhaus.
    akg-images / picturedesk.com

    Österreichs Gletscher schmelzen in rasantem Tempo dahin. Die durch den Klimawandel bedingte Erwärmung und geringere Niederschläge setzen den Eismassen der Alpen massiv zu, ein Totalverlust in den nächsten Jahrzehnten ist wahrscheinlich. "Wir müssen davon ausgehen, dass sich die Gletscher in den nächsten 20 Jahren – ganz unabhängig, von welchem Szenario man ausgeht – halbieren werden. Wir können das nicht mehr verhindern", warnte BOKU-Professor Herbert Formayer dazu im Klimastatusbericht 2022.

    Obwohl direkt vor unseren Augen, werden die Folgen des Klimawandels (wie auch die Ursache) immer noch von einigen abgestritten. "Für manche Menschen ist es schwer, sich das vorzustellen", weiß ORF-Meteorologe Marcus Wadsak (53). Wenn es draußen zwei, drei Grad mehr hat, dann trifft uns das nicht – manchmal sogar im Gegenteil. Besonders jetzt im außergewöhnlich warmen September und Oktoberbeginn empfindet der Großteil der Österreicher dies sogar als angenehm.

    "Bedeutet eine komplett veränderte Welt"

    Allerdings werden von Laien oft Äpfel mit Birnen verglichen: "Beim Wetter macht es keinen großen Unterschied", erklärt der 53-Jährige im Interview mit "News" weiter: "Beim Klima reden wir aber von einer globalen Mitteltemperatur."

    Am Beispiel der letzten Eiszeit (auch Kaltzeit) macht er deutlich, was das bedeutet. "Es war damals vier bis fünf Grad kälter als heute", was reichte, um große Teile Europas unter dicksten Gletschern zu begraben. Erst mit der Erwärmung vor rund 12.000 Jahren ging diese Kältephase zu Ende. "Wenn sich die um ein paar Grad verändert, bedeutet das eine komplett veränderte Welt. Das müssen wir verstehen", betont Wadsak.

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      Die Pasterze wurde am 5. September 2023 mit kirchlichen Würden und einem Sarg aus Eis symbolisch zu Grabe getragen.
      Die Pasterze wurde am 5. September 2023 mit kirchlichen Würden und einem Sarg aus Eis symbolisch zu Grabe getragen.
      Johann Groder / EXPA / picturedesk.com

      "Spüren die Folgen an allen Ecken und Enden"

      Die aktuelle Warmzeit in der wir leben, Holozän genannt, hatte sich nach diesem anfänglichen, etwa über 2.000 Jahre laufenden Temperaturanstieg und bis eben vor Kurzem durch ein relativ stabiles Klima ausgezeichnet. Durch die massiven CO2-Emissionen der Menschheit hat sich das nun geändert. "Derzeit stehen wir bei einem Grad globale Erwärmung, und wir spüren die Folgen des Klimawandels an allen Ecken und Enden."

      2023 sei bisher ein "wirklich unfassbares Wetterjahr" gewesen, so Wadsak. Das habe schon mit 20 Grad im Jänner begonnen, zog sich über extreme Sommer-Hitze und Unwetterereignisse sowie dem außergewöhnlich verlängerten Spätsommer hierzulande mit immer noch anhaltenden Temperaturen bis 28 Grad. "Das gab es alles in solch einem Ausmaß noch nie. Das sind Dinge, die neu und extrem sind, und die Menschen das Leben kosten."

      Gletscherschmelze: "Kipppunkt überschritten"

      Auch die Gletscher bereiten dem ORF-Star Sorgen: "Da ist bereits ein Kipppunkt überschritten. Wir können das Abschmelzen der Gletscher nicht mehr verhindern. Sie werden im Laufe dieses Jahrhunderts verschwinden." Und das werde deutliche Folgen auch abseits des Hochgebirges nach sich ziehen. 

      "Das Eis da oben ist ja nicht nur unser Trinkwasserreservoir, es trägt auch viel Wasserkraft in sich. Und dieses Eis hält auch die Berge zusammen. Das ist eine Entwicklung, die wir nicht mehr aufhalten können", sagt Wadsak. Wenn der Permafrost-Kitt abtaut, werden Felsstürze immer häufiger. Ein besonders deutliches Beispiel liefert das Fluchthorn-Massiv auf der Grenze zwischen Österreich und der Schweiz, wo im Juni plötzlich der etwa 3.400 Meter hohe Südgipfel einfach abbrach und ins Tal krachte.

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        In der Silvrettagruppe im Gemeindegebiet von Galtür im Tiroler Bezirk Landeck ist es am 11. Juni 2023 zu einem massiven Felssturz gekommen.
        In der Silvrettagruppe im Gemeindegebiet von Galtür im Tiroler Bezirk Landeck ist es am 11. Juni 2023 zu einem massiven Felssturz gekommen.
        ZEITUNGSFOTO.AT / APA / picturedesk.com

        "Wenn das Eis immer weniger wird..."

        Der Klima-Experte fürchtet zudem, dass die vom heimischen Wasserschatz so verwöhnten Österreicher, noch zu wenig verinnerlicht hätten, dass Trinkwasser ein sehr wertvolles, kostbares Gut ist.

        "Derzeit sind wir sind in Österreich so privilegiert, dass wir den Wasserhahn aufdrehen und qualitativ hochwertiges Trinkwasser herauskommt. Wir spülen es sogar am Klo herunter", mahnt Wadsak. "Das ist nicht selbstverständlich und das ist uns auch nicht für immer garantiert. Wenn das Eis immer weniger wird, wird es mit dem Wasser auf lange Sicht auch eng."

        Schwankungen nehmen zu

        Gletschereis entsprach 2015 etwa 10 Prozent der in Österreich gespeicherten Wasserreserven. Im Sommer garantierte das Tauwasser ständigen und ausgeglichenen Wasserpegel in vielen Gebirgsbächen und folglich den Flüssen des Landes. Ohne Gletscher fällt diese Stabilisierung weg. 

        Der Pegelstand der Flüsse hängt künftig dann allein von den stark veränderlichen Regenmengen ab. Starke Schwankungen werden zunehmen, was sich auch auf die nachgelagerten Nutzungen auswirkt. Das reicht von der Energieerzeugung aus Wasserkraft, über die Kühlwassernutzung großer Unternehmen, Entnahmen für die Landwirtschaft bis eben hin zur Trinkwasserversorgung.

        "Ein zunehmendes Problem"

        "Punktuell und temporär kann es bei ausbleibenden Sommerniederschlägen künftig zu Engpässen und Nutzungskonflikten kommen", heißt es dazu auch im Klimastatusbericht. "Nach dem Jahr 2040 ist damit zu rechnen, dass Wasserknappheit insbesondere bei längeren Trockenperioden im Sommer regional ein zunehmendes Problem darstellen wird", prognostizieren BOKU-Professor Formayer und die anderen Autoren. Politik, Wirtschaft und Bevölkerung müssten sich deshalb mit dem "totalen Verlust der Gletscher" auseinandersetzen, um die Auswirkungen so gering wie möglich zu halten.

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