Anträge abgelehnt

ME/CFS – Betroffene fallen um Sozialleistungen um

Wie eine Recherche zeigt, werden 79 Prozent der Anträge auf Berufsunfähigkeits-/Invaliditätspension (bzw. Rehageld) sowie Pflegegeld abgewiesen.
Heute Life
10.05.2025, 14:46
Loading...
Angemeldet als Hier findest du deine letzten Kommentare
Alle Kommentare
Meine Kommentare
Sortieren nach:

Kommentare neu laden
Nach oben

Der 12. Mai gilt als internationaler ME/CFS-Tag. Die Myalgische Enzephalomyelitis bzw. das Chronische Fatigue-Syndrom stehen dabei im Mittelpunkt. Nicht genug damit, dass Betroffene – je nach Schweregrad – das Haus oder sogar das Bett nicht mehr verlassen können, haben sie auch mit sozialrechtlichen Problemen zu kämpfen. Konkret werden Anträge auf Berufsunfähigkeits-/Invaliditätspension (bzw. Rehageld) sowie Pflegegeld seitens der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) nur selten bewilligt. Das zeigt eine Recherche von ORF, APA und der Rechercheplattform Dossier. Auch bei den Gutachten gibt es gravierende Missstände.

56 Betroffene mit ärztlich bestätigter ME/CFS- oder Post-Covid-Diagnose haben dem Rechercheteam insgesamt Unterlagen von 71 Anträgen bzw. Verfahren zur Einsicht zur Verfügung gestellt (zum Teil mehrere Verfahren pro Person, Anm.). Eingereicht wurden diese bei der PVA in den Jahren 2021 bis 2024.

Auch bei den Gutachten gibt es gravierende Missstände. Im Auftrag der PVA werden betroffene Antragsteller von Ärzten und Psychologen begutachtet, ob eine Arbeits(un)fähigkeit oder Pflegebedarf vorliegt. Dabei müssen auch die von den Antragstellern beigebrachten Befunde in die Begutachtung miteinbezogen werden.

ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) gehört zu einer Gruppe von schweren, chronischen Multi-Systemerkrankungen. Sie zeichnet sich durch eine Fehlregulation des zentralen und autonomen Nervensystems, des Immunsystems und des Stoffwechsels aus. Für Betroffene bedeutet das eine stark eingeschränkte Leistungsfähigkeit und schweren Fatigue (Erschöpfung), die auch nach Erholung nicht nachlässt. Je nach Schweregrad der Erkrankung ist es den Betroffenen nur mehr teilweise oder gar nicht mehr möglich, Aktivitäten des alltäglichen Lebens auszuführen. Begleitet wird die stark eingeschränkte Leistungsfähigkeit von einer Zustandsverschlechterung nach körperlicher oder mentaler Anstrengung (Post-Exertional Malaise, PEM). Diese Verschlechterung kann Tage oder sogar mehrere Wochen anhalten.

ME/CFS ist keine neue Krankheit (seit 1969 von der WHO als Krankheit klassifiziert), aber die Corona-Pandemie hat als neuer Auslöser zu einem sprunghaften Anstieg der Fälle geführt. ME/CFS tritt nach akuten Viruserkrankungen auf, zum Beispiel Covid-19, Influenza oder durch das Epstein-Barr-Virus ("Pfeiffer'sches Drüsenfieber").

Die Sache mit den Gutachten

In den 124 vom Rechercheteam eingesehenen ärztlichen oder psychologischen Gutachten hatten alle Antragsteller eine ME/CFS- oder Post-Covid-Diagnose, die hohe Ähnlichkeit zu ME/CFS hat. Jedoch wurden diese Diagnosen nur in nur knapp 23 Prozent der Gutachten berücksichtigt, bei 56 Prozent gar nicht und beim Rest etwa nur als Nebendiagnosen.

Krankheitshauptmerkmal negiert

Ebenso fehlte die Anerkennung des Krankheitshauptmerkmals: PEM – Post-Exertional Malaise. Sie beschreibt eine zeitverzögerte Verschlechterung der Symptome schon nach geringer körperlicher oder geistiger Anstrengung.

Ins psychische Eck gestellt

Stattdessen wurden den Antragstellern unter anderem Übertreibung oder andere angebliche psychische Leiden attestiert. Vor allem, weil die Betroffenen von sehr vielen Symptomen berichteten. Diese sind für ME/CFS jedoch nicht ungewöhnlich und auch in den internationalen Diagnosekriterien festgehalten.
Das Problem: Bevor eine psychische Diagnose gestellt werden kann, müssen alle körperlichen Ursachen ausgeschlossen werden. Und ME/CFS falle klar unter "körperliche Erkrankungen", betonte auch der Linzer klinische Psychologe und Sachverständige für Berufskunde Markus Gole.

Arbeitsfähigkeit trotz Bettlägerigkeit bescheinigt

124 ärztliche oder psychologische Gutachten im Auftrag der PVA wurden vom Rechercheteam ausgewertet. In 83 Prozent bescheinigten die Gutachter eine Arbeitsfähigkeit. Auch bei jenen Betroffenen, die schilderten, dass sie das Haus kaum noch verlassen können.

In 87 Prozent der Gutachten wurde kein Pflegebedarf festgestellt, 79 Prozent der Verfahren wurden negativ entschieden. Die Betroffenen bekamen keine Pension – auch nicht das befristete Rehageld – und kein Pflegegeld zugesprochen.

Das sagt die zuständige PVA

Mit den Ergebnissen konfrontiert, bezieht die PVA schriftlich Stellung: Sämtliche Begutachtungen seien nach den gesetzlichen Bestimmungen erfolgt. Für die Zuerkennung von Leistungen sei nicht die Diagnose entscheidend, sondern die "vorliegenden objektivierbaren Funktionseinschränkungen". Ebenso würden die Gutachter sich auf dem "neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse" weiterbilden.

Protestaktion am 12. Mai am Heldenplatz

Aus internationalen Daten abgeleitet, schätzt die MedUni Wien, dass es in Österreich 70.000 bis 80.000 ME/CFS-Betroffene gibt, die das Hauptsymptom PEM aufweisen. Etwa 20 Prozent davon sind schwer oder sehr schwer betroffen.
Für mehr Aufmerksamkeit findet am kommenden Montag, 12. Mai von 16.00 bis 18.00 Uhr am Wiener Heldenplatz eine Protestaktion statt. Wie im Vorjahr werden leere Feldbetten symbolisch für die oft pflegebedürftigen Betroffenen stehen und bundesweit Sehenswürdigkeiten in blauem Licht angestrahlt. Auch Botschaften von Betroffenen werden ausgestellt und Redebeiträge verlesen.

{title && {title} } red, {title && {title} } 10.05.2025, 14:46
Jetzt E-Paper lesen