Coronavirus

Mehr Gewalt durch Corona? Frauenhäuser ziehen Bilanz

Heute Redaktion
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Je länger die Maßnahmen dauern, desto mehr steigt laut Experten auch die Gefahr von häuslicher Gewalt. Zwei Wochen nach Beginn der Isolation ziehen Opferschutzeinrichtungen jetzt erste Bilanz.

Schon zu Beginn der Krise wurde vielfach die Befürchtung geäußert, dass wochenlange Ausgangsbeschränkungen einen Anstieg der häuslichen Gewalt auch in Österreich zur Folge haben könnte. So verzeichnete die Jugend-Telefonhilfe "Rat auf Draht" bis Ende März einen Anstieg der täglichen Anrufe um bis zu 30 Prozent.

Und auch viele Ehen werden durch den Stillstand einem Härtetest unterzogen: schwelende Konflikte, unterschiedliche Ansichten, lange zurückliegende Kränkungen dringen nun beinhart an die Oberfläche. Gegenüber "Heute" meldete eine Wiener Kanzlei bereits ein "explosionsartiges" Plus an Scheidungsverfahren. Auch die Anzahl der Betretungsverbote und häuslichen Gewaltdelikte wird während der Ausgangsbeschränkung in die Höhe schnellen, prophezeiten die beiden renommierten Verteidiger Nikolaus Rast und Mirsad Musliu.

Gewalt-Bilanz der Corona-Maßnahmen

Doch haben sich die Befürchtungen bestätigt? In einer Aussendung ziehen die Gewaltschutzzentren und der Zusammenschluss Österreichischer Frauenhäuser (ZÖF) nach den ersten zwei Wochen Corona-Stillstand gemeinsam Bilanz. Diese bringt durchaus auch gute Nachrichten mit sich: "Seit dem Inkrafttreten der Beschränkungen kann kein Anstieg sowohl hinsichtlich der ausgesprochenen Betretungs- und Annäherungsverbote als auch bei der Gesamtzahl an betreuten Personen beobachtet werden", melden die Opferschutzeinrichtungen.

In der Aussendung heißt es weiter: In weiten Teilen Österreichs ist es weder in den Gewaltschutzzentren noch in den Frauenhäusern seit Beginn der COVID-19-Maßnahmen zu erhöhter Beratungstätigkeit oder Aufnahmen gekommen. Die Gründe für diese Entwicklung werde man aber erst im Laufe der Zeit erkennen können.

Erhöhtes Risiko bei gewalttätiger Vorgeschichte

Sowohl der Dachverband der Gewaltschutzzentren als auch der ZÖF sind sich einig: "Wir wissen in Wirklichkeit nicht, wie sich einzelne Faktoren der Maßnahmen auf das Zusammenleben im Familiensystem auswirken werden. Sollte es in weiterer Folge zu erhöhter Nachfrage kommen, sind wir jedenfalls gut vorbereitet."

"Menschen, die in Konfliktsituationen im Familienverband bisher nicht gewalttätig waren, werden es auch in diesen Zeiten nicht werden. Ich bin sogar zuversichtlich, dass die Entschleunigung dazu beitragen kann, dass in Familien neue Konfliktstrategien erprobt werden können", erklärt Marina Sorgo, Verbandsvorsitzende der Gewaltschutzzentren. "Ein erhöhtes Risiko sehe ich jedoch für Familien mit einer Vorgeschichte der Gewalt, die derzeit auch existenzbedrohende Probleme und Ängste haben."

Das fürchtet auch ZÖF-Vorsitzende Michaela Gosch: "Wir rechnen damit, dass in Familiensystemen, die schon vor den Maßnahmen von Gewalt geprägt waren, mit Fortdauer des Ausnahmezustandes ein erhöhtes Eskalationsrisiko besteht."

Genügend Betreuungsplätze vorhanden

Ebenso sieht Gosch aber die derzeit geltenden Maßnahmen auch als möglichen Hemmschuh für den Ausstieg aus einer Gewaltbeziehung bzw. für die Aufnahme in einem Frauenhaus: "Das völlige Wegbrechen vertrauter und sichererer Strukturen kann auch dazu führen, dass es für Opfer von Gewalt noch viel schwieriger ist, die eigenen vier Wände zu verlassen. Es ist das letzte Stückchen Sicherheit, das einzig noch Vertraute und Bekannte. Die Leidensfähigkeit könnte steigen und der Leidensdruck müsste vermutlich weiter zunehmen, um den Schritt ins derzeit völlig Ungewisse zu wagen."

Sowohl Sorgo als auch Gosch weisen ausdrücklich darauf hin, dass Schutz und Hilfe in Zeiten der COVID-19-Maßnahmen weiterhin zur Verfügung stehen. In den Einrichtungen gäbe es derzeit genügend Plätze für hilfesuchende Frauen und Kinder.

Ebenso wichtig ist es den beiden Verbänden, auf die Hilfsangebote für Gefährder hinzuweisen. Die Männerberatungsstellen und der Verein Neustart, der seit Beginn der Maßnahmen vor allem die Betreuungsintensität für Täter im Bereich der häuslichen Gewalt erhöht hat, bieten auch weiterhin telefonische Beratung in Krisensituationen an.