"Spillover-Effekt"

Meiste Asylwerber kommen erstmals nicht mehr aus Syrien

Die meisten neuen Asylsuchenden in Europa kommen erstmals seit zehn Jahren nicht aus Syrien, sondern aus – Venezuela. Dafür gibt es zwei Hauptgründe.
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09.09.2025, 06:33
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Erstmals seit zehn Jahren kommen die meisten neuen Asylsuchenden aus Venezuela nach Europa – trotz insgesamt rückläufiger Asylzahlen.

Was ist passiert?

Am Montagmorgen hat die EU-Asylagentur neue Zahlen veröffentlicht. Die Zahl der neuen Asylbewerber innerhalb der EU sowie in Norwegen und der Schweiz ist im ersten Halbjahr deutlich zurückgegangen. Bis Ende Juni zählte die EU-Asylagentur annähernd 400.000 neue Anträge. Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2024 bedeutet dies ein Minus von 114.000 beziehungsweise 23 Prozent.

Was fällt auf?

Erstmals seit einem Jahrzehnt kamen die meisten neuen Asylbewerber nicht mehr aus Syrien nach Europa, sondern aus Venezuela. 49.000 Anträge wurden gemäß der EU-Asylagentur mit Sitz auf der Insel Malta eingereicht.

Dürfen die Venezolaner bleiben?

Die Anerkennungsquoten und der weitere Aufenthalt für Asylsuchende aus Venezuela unterscheiden sich innerhalb der EU-Zielländer deutlich. In Spanien erhalten viele Venezolaner zwar keinen formalen Asylstatus, aber dennoch fast immer einen humanitären Aufenthaltstitel, der ihnen ein dauerhaftes Bleiberecht ermöglicht.

Deutschland, Italien und Frankreich gewähren Asyl laut EUAA dagegen nur selten, sodass abgelehnte Antragsteller oft ohne sicheren Status verbleiben. Dennoch erhalten insgesamt zwischen 81 und 89 Prozent der venezolanischen Antragsteller eine Form des Schutzes, meist über automatischen humanitären Aufenthalt nach Ablehnung des Asylantrags. Abschiebungen sind aber wegen der Lage in Venezuela selten.

Wieso gerade Venezuela?

Dass derzeit besonders viele Menschen aus dem lateinamerikanischen Land sich Richtung Europa aufmachen, hat zwei Gründe.

Erstens: Spillover-Effekt wegen USA

Die EUAA führt den Anstieg venezolanischer Asylanträge in Spanien auf die Restriktionen zurück, die durch die verschärfte US-Migrationspolitik unter Donald Trump entstanden sind. Die eingeschränkten Möglichkeiten animierten viele Venezolaner und Venezolanerinnen, ihren Blick auf die EU zu richten – Spanien steht wegen der gleichen Sprache dabei im Fokus.

"Venezuela gehört seit 2018 zu den zehn wichtigsten Herkunftsländern von Asylsuchenden in Europa", präzisiert Reto Kormann vom SEM. 2023 stellten demnach rund 68 000 venezolanische Staatsangehörige in Europa ein Asylgesuch (gegen 90 Prozent davon in Spanien), 2024 waren es 74 000, mit ungefähr 90 Prozent in Spanien. "Die Maßnahmen der Regierung Trump dürften den bereits bestehenden Migrationsfluss in Richtung Spanien noch einmal verstärkt haben."

Zweitens: Desolate Lage daheim

Die starke Zunahme venezolanischer Asylwerbender in der EU spiegelt auch die sich verschärfende Krise im Heimatland wider – politisch, wirtschaftlich und sozial. Etwa 70 Prozent der Bevölkerung Venezuelas leben in Armut, Millionen sind auf Hilfe angewiesen. Das Land zählt zu den korruptesten Staaten der Welt.

Die Wirtschaft ist am Boden, mit teils millionenprozentiger Inflation und schrumpfenden Produktionskapazitäten. Die dysfunktionale Politik rundet das Bild ab: Präsident Nicolas Maduro, der unter dem Verdacht steht, die Präsidentschaftswahlen 2018 und 2024 manipuliert zu haben, ist international geächtet und mittlerweile im Clinch mit den USA.

Im Inneren herrschen Repressionen und Rechteverfall. Politische Gegner, Journalisten und Aktivisten werden gezielt verfolgt. Gleichzeitig zählt Venezuela zu den gefährlichsten Ländern der Welt, mit Bandengewalt, bewaffneten Überfällen, Entführungen und Diebstahl. Zukunftsperspektiven in dem Land? Zunehmend keine. Fast acht Millionen Menschen haben Venezuela seit 2014 verlassen.

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