Bericht aus Krisen-Zone

Reporter in Gaza: "Können wir uns nicht vorstellen"

Seit zwei Jahren herrscht im Gazastreifen Krieg. Journalist Emiliano Bos konnte als einer der Ersten mit der palästinensischen Bevölkerung sprechen.
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14.10.2025, 08:52
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Seit zwei Jahren steht der Gazastreifen faktisch unter israelischer Belagerung und ist größtenteils von der Außenwelt abgeschnitten: So verwehrte die israelische Armee Journalisten über lange Zeit den Zutritt zum Gebiet.

Als einer der ersten konnte Reporter Emiliano Bos von Radiotelevisione Svizzera (RSI) direkt aus dem Krisen-Gebiet berichten. Als die erste Phase des Friedensdeals in Kraft trat, herrschte demnach Erleichterung und aufkeimender Hoffnung auf beiden Seiten.

"Wahnsinn und Schmerz haben endlich ein Ende"

"Es war ein sehr emotionaler Moment – der Wahnsinn und der Schmerz, den die Geiseln und Familien über zwei Jahre lang über sich ergehen lassen mussten, haben endlich ein Ende", sagt Emiliano Bos im Gespräch mit "20 Minuten". Der Journalist war am Montag auf dem "Platz der Geiseln", wo Tausende Israelis die Freilassung der Geiseln feiern. "Ein Mann sagte zu mir, dass er nun endlich wieder atmen könne. Diesen Moment mit der israelischen Bevölkerung zu teilen, war sehr emotional."

Der gebürtige Italiener verweist aber auch darauf, dass die Geiselfreilassung nur eine Seite der Medaille sei – "das Bild ist noch nicht komplett": So konnte der RSI-Korrespondent am Freitag zum ersten Mal seit Beginn der israelischen Belagerung vor über zwei Jahren direkt mit Palästinensern sprechen. Dafür hatte der Journalist die umstrittene Hilfsorganisation Gaza Humanitarian Foundation begleitet.

Rückkehrer in den Ruinen von Chan Yunis im südlichen Gazastreifen, 12. Oktober 2025.
IMAGO/Middle East Images

"Nur die Spitze des Eisbergs"

Die Zerstörung im Gazastreifen ist nur schwer in Worte zu fassen. "Das einzige größere Gebäude, das in Rafah noch steht, ist ein Parkhaus. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es im Norden aussieht", schildert er.

"Wenn sich Journalistinnen und Journalisten wieder frei im Gazastreifen bewegen dürfen, werden wir Dinge entdecken, die wir uns noch gar nicht vorstellen können", befürchtet Bos. "Was wir bisher gesehen haben, ist nur die Spitze des Eisbergs."

RSI-Journalist Emiliano Bos konnte als einer der ersten Journalisten mit der Bevölkerung Gazas sprechen.
Screenshot/Massimo Piccoli/RSI

Durch Israels Weigerung, Hilfslieferungen von internationalen Organisationen wie der UNO ins Gebiet zu lassen, hat sich die humanitäre Lage im Gazastreifen in den letzten Monaten drastisch verschärft. Im Zuge der israelischen Bombardierungen wurden Hunderttausende Menschen von ihren Wohnorten verdrängt und mussten in teils massiv überfüllten Flüchtlingslagern Zuflucht suchen.

Viele der Palästinenser zeigten sich angesichts des Waffenstillstands im Gespräch mit Bos zumindest vorsichtig hoffnungsvoll, dass das Abkommen wirklich Frieden bringen wird. Da die Auswirkungen im Gazastreifen selbst aber nur langsam und schrittweise sichtbar werden, hält sich der Optimismus vieler Anwohner aber noch in Grenzen. "Die meisten Gaza-Bewohner, mit denen ich gesprochen habe, sehnen sich vor allem nach Freiheit und einem normalen Leben."

Rückkehrer in den Ruinen von Chan Yunis im südlichen Gazastreifen, 12. Oktober 2025
IMAGO/Middle East Images

"Es wird noch ein langer und harter Weg"

Wann und ob dies möglich sein wird, hängt von der Umsetzung der weiteren im Abkommen vereinbarten Maßnahmen ab. "Bewaffnete Gangs, die teils von Israel unterstützt werden, liefern sich schon jetzt mit der Hamas und auch untereinander Kämpfe um die Kontrolle bestimmter Gebiete. Wer die Kontrolle tatsächlich übernimmt, wird sich erst beim Abzug der israelischen Truppen zeigen – der schwierige Part beginnt jetzt", so die Einschätzung von Bos.

Laut dem ehemaligen israelischen Premier Ehud Olmert kommt es nun vor allem darauf an, ob US-Präsident Trump die Durchsetzung des Abkommens weiter vorantreibt. "Ohne ihn wird die zweite Phase nicht funktionieren", sagte er im Gespräch mit RSI.

Auch Kardinal Pizzaballa, der lateinische Patriarch von Jerusalem, rechnet nicht mit einem schnellen Ende des Konflikts. "Die Wurzeln des Problems existieren weiter. Es wird noch ein langer und harter Weg", so seine Einschätzung gegenüber dem RSI-Journalisten.

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