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So hielt Josef B. sein Doppelleben geheim

Heute Redaktion
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"Heute.at"-Reporter Florian Horcicka berichtet live aus Ruinerwold
"Heute.at"-Reporter Florian Horcicka berichtet live aus Ruinerwold
Bild: heute.at

Warum lebte eine Familie völlig isoliert? Und welche Rolle spielt Josef B. dabei? "Heute.at"-Reporter Florian Horcicka berichtet live aus Ruinerwold

Flaches Land, doch scheinbar tiefe menschliche Abgründe. Das Drama um die in einem Bauernhof festgehaltene Familie ereignete sich im Nordosten der Niederlande. In der Provinz Drenthe ist man weit weg vom bunten, lauten Leben in Amsterdam. Es ist auch nicht das Land der pittoresken Windmühlen. Hier gibt es saubere Kleinstädte und Dörfer, dazwischen grüne Felder mit Kühen und Schafen. Es scheint noch gar nicht richtig Herbst geworden zu sein.

Freundlich, aber distanziert

Die Menschen wohnen, typisch holländisch, in Häusern mit Klinkerfassaden. Von der Straße kann man bis ins Wohnzimmer blicken. Niemand hat Vorhänge. Doch man lässt sich hier gegenseitig in Ruhe. Freundlich, aber distanziert – die Bewohner rund um das Dorf Ruinerwold gehen ruhig ihrer Arbeit nach. Alles ist modern. Neue, große Traktoren, WLAN überall, in den Einfahrten stehen blitzsaubere Volvos und Audis. Und ja, man kann hier hervorragend Rad fahren.

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    Mit diesem alten Volvo war der verdächtige Wiener Josef B. (58) im niederländischen Ruinerwold und Umgebung unterwegs.
    Mit diesem alten Volvo war der verdächtige Wiener Josef B. (58) im niederländischen Ruinerwold und Umgebung unterwegs.
    (Bild: kein Anbieter/Google Street View)

    Die Welt von Josef B., dem "Österreicher", liegt nur wenige Kilometer außerhalb der Hauptstraße von Ruinerwold und doch Welten entfernt. Eine kleine Brücke führt vom Buitenhuizerweg über einen kleinen Kanal. Privatgrund. Kurz über einen Feldweg auf eine Wiese vor dem Bauernhof mit der Hausnummer 14. Die Nachbarn sind außer Hörweite, ein kleines Wäldchen schützt vor neugierigen Blicken. Auf dem Gehöft hausten Josef B. und sechs weitere Personen: Fünf Kinder und deren kränklicher Vater Gerrit-Jan van D..

    Familie lebt unter dem Radar

    Über Jahre lebte man von dem was der Gemüsegarten, eine Ziege und das Geflügel hergegeben hat. Einkäufe erledigt Josef B. mit seinem alten Volvo, mit dem er auch zu seiner kleinen Holzwaren-Werkstatt im nahen Meppel fährt. Der mit Matsch verkrustete Volvo aus den späten 1980ern muss hier aufgefallen sein. Auch der Mann selbst passt so gar nicht ins moderne Holland des 21. Jahrhunderts. Sein Niederländisch ist auch nach vielen Jahren im Land alles andere als perfekt.

    Die Ermittlungen im Haus am Buitenhuizerweg gingen auch am Freitag weiter:

    Er geht auch den Angestellten und Arbeitern des Gewerbeparks in Meppel aus dem Weg. Kein Bier in der Kneipe, kein Pläuschchen mit der Supermarktkassiererin. Josef B. suchte und fand die Isolation. Von den Kindern will keiner der Nachbarn etwas bemerkt haben. Niemand fragte was Josef B. auf dem großen Grundstück eigentlich machte. Vielleicht auch weil Miete und Autoversicherung stets pünktlich bezahlt wurden.

    Sekten sind in der Region nicht selten

    Dennoch: Viel können die Geschäfte des Mannes nicht abgeworfen haben. Der Rest der Einkünfte kam wohl von Spenden. Denn die mehr oder weniger freiwillige Zurückgezogenheit der Familie, genaueres ermittelt die Polizei, hatte ihren Ursprung in der Religion. Josef B. und Gerrit-Jan van D. waren Mitglieder der Moon-Sekte bzw. deren Abspaltungen, in den Niederlanden als Vereinigungskirche bekannt. So dürften sie auch in Kontakt miteinander gekommen sein.

    HIER >> "Heute.at"-Lokalaugenschein im Mühlviertel: Das berichten Nachbarn über Josef B.

    Sekten und strenggläubige Gemeinschaften sind in der Region Drenthe nicht selten. Zehntausende Bewohner wanderten in vergangenen zwei Jahrhunderten nach Südafrika oder Mittel,- und Südamerika aus. Teils aus bitterer Armut, teils um ihre religiöse Überzeugung leben zu können. Ähnlich den Amish People in den USA, leben zahlreiche Nachkommen dieser Menschen als Mennoniten in Mexiko oder Paraguay. Abgeschieden und von moderner Technik abgewandt.

    Vater Gerrit-Jan sah aus wie Jesus

    Auf Kindererziehung wird dabei großer Wert gelegt. Wie auch in diesem Fall. Nachbarn in Hasselt, wo Josef B. und Gerrit-Jan van D. einst Tür an Tür wohnten, erzählen von außergewöhnlicher Höflichkeit der Kinder. So etwa Carina P.: "Der Vater sah zwar aus wie eine Jesusfigur, mit Bart und abgemagert, doch es gab nie Ärger. Sie hatten einen Hund, den sie nicht einmal an fremde Gartenzäune pinkeln ließen. Meistens ist ein etwa 10-jähriger Bub mit dem Hund gegangen, der sehr zuvorkommend war. Die Kinder waren ruhig, Geschrei gab es nie."

    "Heute.at" berichtete live aus Ruinerwold:

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      Ortseinfahrt der 2.800-Seelen-Gemeinde Ruinerwold.
      Ortseinfahrt der 2.800-Seelen-Gemeinde Ruinerwold.
      (Bild: imago stock & people)

      Hinter dem Kanal, über der kleinen Brücke lebte die kleine Gemeinschaft dann zuletzt. Die Kinder waren älter geworden. Der Kontakt zur Außenwelt weniger. Die Sprache der Jüngsten soll eine Art Fantasie-Holländisch gewesen sein. Ein Singsang aus Gebeten und Alltagsbegriffen.

      Blieben Kinder freiwillig?

      Bis auf den "Ausreißer", der die Entdeckung des Bauernhof-Dramas nach ein paar Bieren in einem Dorfgasthaus in Ruinerwold ins Rollen brachte, scheinen der Vater und die vier übrigen Kinder zuletzt gar nicht in Kontakt mit der Umwelt gestanden zu haben. Freiwillig? In ihrem neuen Zuhause, ein sicherer Ort an den sie die Polizei gebracht hat, gehen sie weiter ihren religiösen Gebräuchen nach. Wohl auch, weil sie es nicht anders kennen. Umso enger die "Familie" zusammenrückte, umso weiter entfernten sie sich von der Außenwelt.

      Noch lauern Reporter und Fotografen aus halb Europa vor dem Bauernhof. Auf der Suche nach dem besten Bild, der spannendsten Geschichte. Doch auf der Koppel auf der Rückseite des Grundstücks reiten junge Frauen aus der Gegend schon wieder ihre Pferde. Ein Nachbar fährt mit dem Traktor-Ungetüm am Feld seine Kreise. Nach der Spurenauswertung der Polizei auf dem Grundstück, wird das Leben hier in Ruinerwold seinen Lauf gehen: Freundlich, aber distanziert. Wie die Menschen hier.