Es ist ein dramatischer Ausblick: Bis Ende des Jahrhunderts könnte jeder zweite Gletscher auf der Erde verschwunden sein - und das selbst bei vergleichsweise moderater Klimaerwärmung. Eine neue Studie, erschienen in "Nature Climate Change", zeigt, dass der Verlust der Gletscher nicht nur ein Umweltproblem ist, sondern auch kulturelle und wirtschaftliche Folgen hat.
"Jeder einzelne Gletscher kann entscheidend sein - als Wahrzeichen, Tourismusziel oder Teil regionaler Identität", erklärt Studienautor Lander Van Tricht von der ETH Zürich. Auch Experten der Uni Innsbruck waren an der Analyse beteiligt.
Erstmals wurde nicht nur das Eisvolumen betrachtet, sondern die Anzahl der Gletscher in den Fokus gerückt. Die erschreckende Prognose: Wenn sich der aktuelle Klimatrend fortsetzt und die globale Temperatur um 2,7 Grad steigt, verlieren wir vier von fünf Gletschern weltweit.
Bleibt die Erwärmung bei 1,5 Grad - wie im Pariser Klimaabkommen vorgesehen -, könnte immerhin noch die Hälfte aller Gletscher erhalten bleiben. Doch steigt die Temperatur um vier Grad, bleibt laut Studie nur noch jeder zehnte Gletscher übrig.
Besonders schnell betroffen sind demnach Regionen mit vielen kleinen Gletschern - etwa die Alpen oder der Kaukasus. Massive Gletscher in Grönland und der Antarktis halten sich zwar länger, sind aber ebenfalls gefährdet, so die Studie.
Schon heute schmelzen laut Studie jährlich rund 800 Gletscher. Ab Mitte des Jahrhunderts könnten es bis zu 4.000 pro Jahr sein. Die Schweiz hat laut dem Gletscherexperten Matthias Huss bereits über 1.000 Gletscher in nur drei Jahrzehnten verloren - vor allem kleine, namenlose.
"In den letzten Jahren wurden weltweit symbolische Beerdigungen für Gletscher abgehalten", sagt Huss. Das zeige, wie tief ein Gletscher in der Seele einer Region verankert sein kann.