"Sea of Stars" (Nintendo Switch, PlayStation 4 und 5, Xbox One und Series X|S, PC) überzeugte Spieler und Kritiker als klassisches, rundenbasiertes Rollenspiel in liebevoller Pixelgrafik bei seinem Erscheinen im Jahr 2023 gleichermaßen. Nun, fast zwei Jahre später, erscheint mit "Throes of the Watchmaker" eine Erweiterung, die nicht nur kostenlos ist, sondern den Titel zur Perfektion führt – ein Zeitreise-Zirkus als Meisterwerk der Pixelkunst. Manchmal erscheint eine Erweiterung so durchdacht, so emotional und spielerisch rund, dass man kaum glauben mag, dass sie kostenlos ist. "Throes of the Watchmaker" ist genau so ein seltenes Erlebnis.
Statt einer belanglosen Bonus-Quest liefert Entwickler Sabotage Studio ein spielerisches und erzählerisches Kleinod ab, das die Messlatte für kostenlose Inhalte neu definiert. Und das haben die Macher wohl vorab gewusst, denn nun sprechen sie von einem Dankeschön für die überwältigende Unterstützung der Fans. In der Erweiterung führt uns das Spiel nicht nur tiefer in das Leben der Hauptspiel-Helden Zale und Valere, sondern auch in eine albtraumhafte Miniaturwelt aus Zahnrädern, Schatten und Magie: Horloge, die Heimat einer mysteriösen Uhrmacherin, die den Lauf der Dinge kontrolliert. Klingt abgedreht? Ist es. Und das ist gut so.
Die Erweiterung beginnt mit einer fast humorvollen Note: Der leicht schräge Pirat Keenathan hat ein Problem. Der Rat der Himmelsriesen, jene gottgleichen Wesen, die Ordnung ins Chaos bringen, behauptet, dass er überhaupt nicht existiere. Kein Eintrag in den kosmischen Annalen, kein Anrecht auf eine Geschichte. Um ihm zu helfen, machen sich Zale, Valere und Garl auf zu einer neuen Reise, die direkt in eine der absonderlichsten Regionen dieser Spielwelt führt: den Uhrwerk-Zirkus von Horloge. Dort regiert eine geheimnisvolle, gottgleiche Uhrmacherin – und alles dreht sich, ganz wörtlich, um Zeit. Doch irgendetwas stimmt nicht in diesem Wunderland.
Die Uhren laufen rückwärts, Zahnräder greifen ins Leere, Schattenfiguren flüstern dunkle Geheimnisse. Es ist ein mechanischer Ort, der sowohl visuell als auch thematisch fasziniert: Eine Hommage an Zeitreisenklassiker wie "Chrono Trigger", verwoben mit einer Prise "Alice im Wunderland"-Wahnsinn. Das Herz der Story liegt jedoch nicht in der großen Bedrohung, sondern in den kleinen Momenten: Valere und Zale, die mit ihrer Vergangenheit konfrontiert werden. Keenathan, der um seine Identität ringt. Und Garl, der wie immer das emotionale Zentrum bildet – humorvoll, bodenständig, menschlich. All das, was wir bereits am Hauptspiel geliebt haben.
"Throes of the Watchmaker" ist eine Geschichte über das Erinnern, über das Verlorengehen in der Zeit, über das Wiederfinden des Selbst. Die größte spielerische Neuerung der Erweiterung im Vergleich zum Hauptspiel liegt in der Umwandlung der Hauptcharaktere in neue Klassen: Zale wird zum "Juggler" (Jongleur), Valere zur "Acrobat" (Akrobatin). Diese Rollenwechsel sind mehr als kosmetisch. Neue Angriffsmuster, alternative Schadensarten und frische Kombos ändern den Kampfstil grundlegend. Zale schleudert Feuerbälle in geschickten Ketten, Valere setzt auf rhythmische Angriffssprünge, die zeitliches Geschick belohnen.
Hinzu kommt Arty, eine neue spielbare Figur, die bereits im Hauptspiel als verschrobener Erfinder bekannt war. Mit Laserkanonen, Raketenschüssen und einer Menge technischer Tricks sorgt Arty für taktische Tiefe und ironischen Humor. Seine Spezialfähigkeiten sind nicht nur stark, sondern auch optisch spektakulär. Besonders bemerkenswert: Der DLC unterstützt lokalen Koop für bis zu drei Spieler oder Spielerinnen. Neue "Co-Op Timed Hits" machen das Gruppenspiel dynamischer. Die Möglichkeit, gemeinsam im Wohnzimmer gegen Zirkusmonster zu kämpfen, verleiht dem Spiel eine fast nostalgische Note à la "Secret of Mana".
Die Welt von Horloge ist in mehrere Zonen unterteilt, die sich thematisch an Zirkus und Uhrwerk orientieren. Mal läufst du über rotierende Zahnräder, mal springst du durch täuschend echte Illusionen, mal schleichst du durch Schatten, die sich an vergangene Träume heften. Jedes Areal überrascht mit eigenen Rätseln und Mechaniken. Ein Highlight sind die neuen Schreine, in denen die Zeit wortwörtlich manipuliert werden kann. In einem Puzzle musst du Plattformen durch Drehen eines gigantischen Uhrzeigers in Position bringen, in einem anderen Raum kehren sich Gravitationsachsen um. Diese Rätsel sind fordernd, nie frustrierend – eine gute Balance.
Daneben gibt es klassische Nebenbeschäftigungen: Angeln, Kochen, Wheels (das charmante Mini-Brettspiel im Game) und Sammelquests. Sie unterbrechen den dramatischen Fluss der Story angenehm und sorgen für Entspannung zwischen den Bosskämpfen. Die Kämpfe sind indes wieder weit mehr als nur Button-Mashing. Wer "Sea of Stars" kennt, weiß: Der Kampf lebt von Timing und Taktik. Das bleibt auch in der Erweiterung "Throes of the Watchmaker" so. Neu sind Kombofähigkeiten zwischen den Charakteren sowie spektakuläre Spezialattacken der neuen Klassen. Die Gegner sind oft mechanische Monster mit individuellen Schwächen.
Man muss die Angriffsmuster der Feinde lesen, Schwachstellen erkennen und in der richtigen Sekunde kontern. Dabei unterstützt das Spiel visuell und akustisch: Gegnerische Attacken werden durch subtile Sound-Cues und farbliche Markierungen angedeutet, perfekte Blocks oder Treffer werden mit Effekten belohnt. Das macht den Kampf nicht nur anspruchsvoll, sondern auch zu einem audiovisuellen Genuss. Bei der Präsentation trifft Pixel-Perfektion auf Sound-Magie. Sabotage Studio bleibt seinem Stil treu! "Throes of the Watchmaker" sieht aus wie ein verlorenes SNES-Meisterwerk, das sich irgendwie in die Gegenwart geschlichen hat.
Doch bei näherem Hinsehen offenbart sich: Hier steckt moderne Technik unter der Retro-Haube. Licht- und Schatteneffekte, Animationen auf Höhe heutiger Indies, ein dynamisches Tag-Nacht-System und butterweiche Kamerafahrten machen das Spiel zum visuellen Leckerbissen. Der Soundtrack ist ein weiterer Geniestreich. Neben Komponist Eric W. Brown steuert erneut Yasunori Mitsuda ("Chrono Trigger") Tracks bei. Seine melancholischen Melodien passen perfekt zu den emotionalen Höhepunkten. Besonders das Lied, das im Herzen des Uhrwerks spielt, geht unter die Haut – ein trauriges, hoffnungsvolles Lied voller Magie.
Was "Throes of the Watchmaker" besonders macht, ist seine emotionale Reife. Das Spiel thematisiert Identität, Vergessen, Wiederentdeckung und die Angst, im Strom der Zeit unterzugehen. Das ist nicht nur philosophisch ambitioniert, sondern auch tief bewegend. Ein Beispiel: In einer Szene trifft Valere auf eine Echo-Version ihres jüngeren Ichs, das sie fragt, warum sie all die Zeit nur kämpft. Die Frage, die länger nachhallt, als man im ersten Moment vermuten dürfte: Die Figur wird damit konfrontiert, ob sie denn überhaupt noch wisse, was sie werden wollte, bevor sie zur Heldin geworden sei. Gänsehaut für alle, die das erleben!
"Sea of Stars: Throes of the Watchmaker" ist keine einfache Erweiterung. Es ist ein kunstvolles Epilog-Abenteuer, das ein ohnehin schon großartiges Spiel bereichert. Mit seinen neuen Ideen, seiner emotionalen Tiefe, seiner audiovisuellen Exzellenz und seinem respektvollen Umgang mit den Helden hinterlässt es einen bleibenden Eindruck. Dass dieser DLC kostenlos ist, grenzt an ein Wunder. Sabotage Studio zeigt damit, dass kreative Leidenschaft mehr wiegt als Marktanalysen. Wer "Sea of Stars" liebt, darf dieses Kapitel nicht verpassen. Wer das Spiel noch nicht kennt, hat jetzt mehr denn je einen Grund einzusteigen.