Wenn US-Präsident Donald Trump am Freitag den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus empfängt, steht für Kiew vor allem ein Thema im Mittelpunkt: die mögliche Lieferung von Tomahawk-Marschflugkörpern an die Ukraine. Diese Raketen haben eine enorme Reichweite und könnten der Ukraine Angriffe tief ins russische Hinterland ermöglichen. Als "Wunderwaffe", die den Verlauf des Krieges grundlegend ändern würde, sehen Fachleute den Tomahawk aber nicht.
Was ist eigentlich der Tomahawk? Dabei handelt es sich um einen Marschflugkörper, also eine gelenkte Rakete, die die US-Streitkräfte schon vor 42 Jahren eingeführt haben. Zum ersten Mal wurde sie 1991 bei der "Operation Desert Storm" ("Wüstensturm") im Irak eingesetzt, zuletzt im Juni bei Angriffen auf Atomanlagen im Iran. Laut Unterlagen der US-Marine wurden bisher 8.959 Tomahawks gebaut, mehr als 2.350 davon abgefeuert.
Tomahawk-Marschflugkörper werden für gezielte Angriffe aus großer Entfernung verwendet. Sie lassen sich von Schiffen, U-Booten und auch vom Boden aus abfeuern und treffen ihr Ziel mit einer Genauigkeit von wenigen Metern. Die Variante BGM-109 fliegt mit 880 Stundenkilometern bis zu 1.600 Kilometer weit und bleibt dabei nur wenige Dutzend Meter über dem Boden – das macht sie schwer auffindbar und schwer abzufangen.
Eine Version des Tomahawk, die einen Atomsprengkopf tragen konnte, wurde 2013 außer Dienst gestellt. Die Kosten für einen Tomahawk der neuesten Generation liegen laut Marinedokumenten bei 2,5 Millionen Dollar, das sind gut 2,1 Millionen Euro.
Die Marschflugkörper wiegen 1,5 Tonnen und können Sprengköpfe mit 450 Kilo transportieren. Damit lassen sich stark befestigte Ziele wie Flugabwehrsysteme, Kommandozentralen oder Militärflugplätze angreifen. Die Reichweite ist fünfmal größer als jene der ATACMS-Raketen, die Washington seit 2023 an Kiew liefert. Nach Einschätzung des amerikanischen Instituts für Kriegsstudien (ISW) könnten die Ukrainer mit Tomahawks mindestens 1.655 Ziele in Russland angreifen, darunter 67 Luftwaffenstützpunkte, viele davon weit im Hinterland.
Allerdings ist fraglich, wie viele Tomahawks die USA überhaupt liefern könnten. Die Expertin Stacie Pettyjohn vom Politikinstitut CNAS hält eine Lieferung von 20 bis 50 Stück für realistisch. Für 2026 hat die US-Marine selbst nur 57 Tomahawks bestellt. Der Hersteller Raytheon kann die Produktion nicht einfach schnell ausweiten, sagt der deutsche Raketenexperte Fabian Hoffmann. Tomahawks für die Ukraine müssten also direkt aus US-Beständen kommen.
Wie schon bei den gelieferten Panzern oder Kampfflugzeugen vom Typ F-16 oder Mirage meint Expertin Pettyjohn im Onlinedienst X: Der Tomahawk sei "keine Wunderwaffe", mit der die Ukraine den Krieg gewinnen werde. Auch der französische Generalstabschef Pierre Schill ist überzeugt: Kein Waffensystem könne "radikal" die Lage verändern. Mit dem Flamingo-Marschflugkörper, den die Ukraine selbst baut, haben die ukrainischen Streitkräfte ohnehin schon eine Langstreckenwaffe für Angriffe tief in Russland.
Eine mögliche Lieferung von Tomahawks wäre vor allem ein "politisches und strategisches Signal" von US-Präsident Trump an Kremlchef Wladimir Putin, sagt Schill. Trump könnte damit zeigen, dass er Fortschritte "in Richtung eines Friedens" sehen will und sonst bereit ist, "die Ukraine zu unterstützen".
Putin hat bereits klargestellt, dass eine Lieferung von Tomahawks an die Ukraine eine "komplett neue Stufe der Eskalation" wäre und die Beziehungen zwischen Moskau und Washington schwer beschädigen würde.
Der russische Ex-Präsident Dmitri Medwedew, derzeit Vizechef des Nationalen Sicherheitsrats, warnt sogar vor einer Eskalation bis hin zum Atomkrieg: Eine Lieferung von Tomahawks an die Ukraine könne "für alle und vor allem für Trump selbst böse enden".
Der Experte Peter Dickinson vom US-Institut Atlantic Council gibt aber zu bedenken: "Moskau hat immer wieder neue rote Linien gezogen und den Westen vor möglichen russischen Vergeltungsschlägen gewarnt, aber dann nichts unternommen, wenn diese roten Linien überschritten wurden."