Gesundheit

Warum Kinder zunehmend als Erwachsene stilisiert werden

Eine neue Studie zeigt, dass Gesellschaft und Internet Kinder zunehmend kommerzialisieren und gefährden. Das hat Einfluss auf ihre Entwicklung.

Sabine Primes
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Wie eine Große: Kinder agieren auf der Bühne wie Erwachsene.
Wie eine Große: Kinder agieren auf der Bühne wie Erwachsene.
Thomas Bartilla / dpa Picture

Sexualisierung, Leistungsdruck, Kommerzialisierung und das allgegenwärtige Internet sind entscheidende Faktoren dafür, dass die Grenzen zwischen Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter in der westlichen Welt immer mehr verschwimmen. Das sagt Astrid Ebner-Zarl, Medienforscherin von der Forschungsgruppe Media Business am Institut für Creative\Media/Technologies der Fachhochschule St. Pölten. In ihrer Studie "Die Entgrenzung von Kindheit in der Mediengesellschaft" analysierte sie die Kinder-Castingshows "Kiddy Contest" und "The Voice Kids".

Es gebe nicht die eine Kindheit oder Kindsein, sondern verschiedene Kindheiten und verschiedene Formen von Kindsein, erklärt die Wissenschaftlerin. „Kindheit und Kindsein sind in der Gegenwartsgesellschaft des 21. Jahrhunderts, zumindest in Westeuropa und den USA, stark durch Mediatisierung, Kommerzialisierung und die umfassende Einbettung in eine Leistungsgesellschaft gekennzeichnet. Das sind Trends, die auch das Leben von Erwachsenen in der Gegenwartsgesellschaft prägen“, sagt Ebner-Zarl.

Social Media, Grooming, Mobbing, Werbung

Kennzeichen für die Mediatisierung ist dass Social-Media-Influencer als Vorbilder und Identifikationsfiguren für Kinder eine große Rolle spielen. Kinder nutzen das Internet zudem immer früher und begegnen dabei auch Gefahren, etwa Cybergrooming, Cybermobbing, Sextortion, Revenge Porn oder Datenmissbrauch. Die Allgegenwart des Internets zeigt sich nicht nur im Internet of Things, sondern auch in einer speziellen Variante davon für Kinder: dem "Internet of Toys" - das sind Spielsachen, die mit dem Internet verbunden sind. 

Cybergrooming: Täter suchen im Internet nach ihren Opfern. Dazu nutzen sie verschiedene soziale Netzwerke wie beispielsweise Instagram oder Snapchat oder die Chatfunktion von Online-Spielen, um den Kontakt zu Kindern und Jugendlichen herzustellen.
Cybermobbing: Der Begriff Cyber-Mobbing bezeichnet das absichtliche und über einen längeren Zeitraum anhaltende Beleidigen, Bedrohen, Bloßstellen, Belästigen oder Ausgrenzen anderer über digitale Medien. Cyber-Mobbing findet vor allem im Internet (Soziale Netzwerke, Chats, Messenger, E-Mails, …) oder per Handy (SMS, lästige Anrufe, Messenger, Handyfotos und -videos …) statt. Die Attacken gehen in der Regel von Personen aus dem eigenen Umfeld aus.
Sextortion: Der Begriff „Sextortion“ (Wortkombination aus „Sex" und „Extortion" = Erpressung), bezeichnet eine Betrugsmasche im Internet, bei der InternetnutzerInnen von attraktiven Unbekannten dazu aufgefordert werden, in Videochats wie z.B. Skype nackt zu posieren oder sexuelle Handlungen an sich selbst vorzunehmen. Die Betrüger zeichnen das delikate Material heimlich auf und versuchen dann, vom Opfer Geld zu erpressen, indem sie mit der Veröffentlichung der Aufnahmen drohen.
Revenge Porn: Der Begriff "Revenge Porn" (auf Deutsch: "Racheporno") bezeichnet pornografische oder auch andere Bilder oder Videos, die eine andere Person nackt zeigen, die im Rahmen eines Racheaktes veröffentlicht werden. 
Internet of Toys: Spielzeug, das mit dem Internet verbunden ist. (zB. Puppen, die mit Kindern sprechen, Autos, die mit mittels App gesteuert werden). Nicht alle diese Spielsachen birgen Risiken. Allerdings werden manche Spielzeuge für ihre Mängel bei der Sicherheit kritisiert. Ob ein Spielzeug vernetzt ist, erkennt man daran, dass WLAN oder eine App nötig sind oder Mikrophone, Kamera andere Sensoren im Spielzeug integriert sind.
Stichwort Datenschutz: Weil manche Spielzeuge Sprache oder Bilder der Kinder aufzeichnen und auch ins Internet übertragen, bleibt zu hinterfragen, was mit diesen Daten passiert. Es empfiehlt sich vor dem Kauf, Einschätzungen und Meinungen zum betreffenden Spielzeug im Internet zu lesen. 

„Kommerzialisierung von Kindheit äußert sich unter anderem darin, dass Kinder intensiv als Zielgruppe der Werbeindustrie angesprochen werden, oft auf subtile Weise, die den Werbezweck verschleiert." Beispiele dafür seien Produktplatzierungen, die Einblendung von Werbebotschaften in Computerspielen, Influencer-Marketing oder auch verdeckte Werbung über smartes Spielzeug, erklärt Ebner-Zarl. 

Kompetenzförderung, Leistungserwartung, Burnout

Kinder sind laut Ebner-Zarl zunehmend in eine Leistungsgesellschaft eingebunden, die mit intensiver Frühförderung Kompetenzen von Kindern schon im Kleinkindalter und in verschiedensten Bereichen gleichzeitig optimieren will. „Kinder werden oft nicht als Kinder betrachtet, die im Hier und Jetzt Bedürfnisse haben, sondern mehr als künftige Erwachsene, die frühestmöglich auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes und auf Karrieren in Wirtschaft, Kultur und Sport vorbereitet werden sollen“, sagt Ebner-Zarl. Die Motive seien meist gut gemeint und auf das Wohl der Kinder gerichtet, führten jedoch zu einer Zunahme von burnout-ähnlichen Beschwerden wie Anpassungsstörungen und Depressionen schon bei Kindern und Jugendlichen.

Analyse von Casting Shows

„In den Shows gibt es viele Stellen, an denen Kindliches, Jugendliches und Erwachsenes ineinander übergehen. In 'The Voice Kids' etwa kommt die Professionalität vieler Kandidaten in Gesang und Bühnenpräsenz erwachsenen Musikstars gleich. Ihr hoher Schulungsgrad durch intensive Frühförderung, ihr eloquenter Ausdruck, ihre Kleidung und ihr Styling lassen fast vergessen, dass es sich um Kinder und junge Teenager handelt. Erst manche Brüche, wie zu Auftritten mitgenommene Stofftiere, erinnern bei genauem Blick daran. Umgekehrt zeigen Juroren und Moderatoren sprachlich, in Kleidung, Styling und diversen Verhaltensweisen eine starke Nähe zu den Kandidaten. Die Jugendkultur als das Gemeinsame von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen kommt deutlich zum Ausdruck“, sagt Ebner-Zarl.

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