Viele denken, Lesen sei eine Fähigkeit, die man in der Kindheit einmal lernt und dann für immer beherrscht. Doch die Realität ist komplexer: Es gibt Erwachsene, die gar nicht oder nur sehr unsicher lesen können – und das hat selten mit mangelnder Intelligenz oder Faulheit zu tun. Oft liegen die Ursachen viel früher: schwierige Schulbiografien, Lernstörungen wie Legasthenie, ein Umfeld ohne Bücher oder Unterstützung, häufige Schulwechsel oder schlicht das Durchrutschen im System. Manche haben Strategien entwickelt, um ihre Schwäche zu verbergen, andere schämen sich so sehr, dass sie lange keine Hilfe suchen.
Österreich liegt bei wichtigen Grundkompetenzen wie Lesen, Schreiben, Rechnen und digitaler Bildung weiterhin unter dem OECD-Durchschnitt. Das zeigen die kürzlich veröffentlichten Ergebnisse der "Erwachsenen-PISA"-Studie (PIAAC – Programm zur internationalen Bewertung der Kompetenzen von Erwachsenen).
Besonders besorgniserregend sind die Lesefähigkeiten: Hier erreichte Österreich 254 von 260 Punkten. Schwaches Lesen hängt stark von der sozialen Herkunft ab und ist in Österreich längst kein Randproblem mehr. Fast ein Drittel der Erwachsenen zählt inzwischen zur Risikogruppe – also zu jenen Menschen, die Texte nicht sinnerfassend verstehen können. Diese Risikogruppe ist in nur elf Jahren stark gewachsen: Die Zahl der Betroffenen stieg um 70 Prozent – von rund einer Million auf mittlerweile 1,7 Millionen Erwachsene.
Punkto Lesekompetenzen konnten sich nur 2 von 31 Ländern verbessern – Finnland und Dänemark. Für OECD-Bildungsdirektor Schleicher ist das angesichts steigender Anforderungen in Gesellschaft und Beruf ein ernüchterndes Signal. Warum die Kompetenzen sinken, lasse sich nicht eindeutig sagen. Es wäre jedoch möglich, dass heute häufiger kurze, wenig anspruchsvolle Texte gelesen werden – und das langfristig Folgen hat.